Der schwarze Dolch

Cover von Der schwarze Dolch von Sean StewartMark, Sohn einfacher Leute, hat schon immer davon geträumt, den Gespensterwald zu bezwingen und den Bann der Roten Festung zu brechen. Der König hat versprochen, dem siegreichen Helden einen Wunsch zu erfüllen. Viele tapfere Männer, die sich allein auf die Kraft ihres Schwertes verlassen haben, sind an der Aufgabe gescheitert. Doch Mark kann nicht nur kämpfen, sondern er hat auch Verstand und so gelingt es ihm tatsächlich, den Bann zu brechen. Aber dann ist alles anders als er es sich ausgemalt hat. Und zu allem Überfluß muß er eines Tages erkennen, daß die Gespenster nicht alle besiegt sind, nicht die der Roten Festung und auch nicht die seiner Vergangenheit.

– Der Gespensterwald wurde von Erinnerungen heimgesucht, brüchig wie die Zweige, die winzigen Knochen gleich unter Marks Stiefeln knirschten.-
Die Rote Festung

Auf den ersten Blick scheint Der schwarze Dolch (Nobody’s Son) nichts weiter zu sein als eine ironische Abrechnung mit den alten Märchen. Der Held besteht seine Prüfung und erwartet -genau wie der Leser- das übliche Happy End: Der Retter wird gefeiert, der König gibt ihm die Hand seiner Tochter und sie leben alle glücklich bis an ihr Lebensende. Zu Marks Enttäuschung und zum Vergnügen des Lesers verläuft die Geschichte aber anders. Der König ist von dem hergelaufenen und nach seinem Abenteuer ziemlich derangiert aussehenden Schwiegersohn in spe überhaupt nicht begeistert. Die Herren und Damen des Hofes verhalten sich fast alle arrogant bis beleidigend und Prinzessin Gail ist zwar sympathisch, weil sie natürlich, bodenständig und ohne Dünkel ist, aber sie weigert sich aus Angst vor einer Schwangerschaft strikt, das Bett mit Mark zu teilen, außerdem scheint sie einen sehr vertrauten Umgang mit ihrer Hofdame zu haben. Das ist witzig geschrieben und Mark ist ein Held, den man gern haben muß. Stewart läßt den Leser Anteil an Marks inneren Dialogen nehmen und so formt sich recht schnell ein Bild seines Charakters. Mark hat zwar Angst im Gespensterwald, benimmt sich aber tapfer, er weiß, daß er die Spielregeln des Hofes nicht beherrscht, aber er hat ein gesundes Selbstbewußtsein, er ist manchmal undiplomatisch, aber offen und geradeheraus. So einen wie Mark möchte man gerne zum Freund haben, vor allen Dingen, wenn man in der Nähe eines verwunschenen Gespensterwaldes wohnt. Doch je mehr sich die Geschichte ihrem Ende zuneigt, um so klarer wird, was sich schon am Anfang des Romans angedeutet hat. Hier geht es eigentlich nicht um “reale” Gespenster, um Untote, die spuken, weil sie keine Ruhe finden, es geht um Gespenster, die uns alle verfolgen können, Gespenster der Vergangenheit. Es geht um einen Sohn, der darunter leidet, daß der Vater die Familie verlassen hat, als er noch klein war, ein Sohn, der alles Mögliche vollbringen will, damit sein Vater eines Tages zurückkehrt, ihm auf die Schulter klopft und sagt: “Gut gemacht, Sohn” und es geht darum, daß dieser Sohn die Vergangenheit überwinden und seinen Frieden mit ihr schließen muß, damit er eine glückliche Gegenwart und Zukunft haben kann.

Stand: 14. Oktober 2012
Originaltitel: Nobody's Son
Erscheinungsjahr: USA 1995, D 2000 (Neuausgabe 2005)
Verlag: Piper
Übersetzung: Hannes Riffel
ISBN: 3-492-26564-2
Seitenzahl: 269