Der Sandmann

Cover des Buches "Der Sandmann" von E.T.A. HoffmannNathanael ist Student in einer kleinen Stadt, zu Hause wartet seine Verlobte Clara auf ihn – ein scheinbar perfektes Leben. Doch die Vergangenheit holt Nathanael ein: als Kind beobachtete er seinen Vater bei geheimen alchimistischen Versuchen mit dem Advokaten Coppelius, einem kinderhassenden, unfreundlichen Riesen. Bei einem letzten Experiment geht etwas schief und Nathanaels Vater stirbt bei einer Explosion, Coppelius ist aber verschwunden. Eines Tages klopft es an Nathanaels Tür und der Wetterglashändler Coppola tritt ein. Nathanael ist zu Tode erschrocken: Coppola sieht genauso aus wie Coppelius! Aber ist er es wirklich, oder tut er dem Wetterglashändler unrecht? Und was ist mit der seltsamen Nachbarstochter, die ihn die ganze Zeit beobachtet?

-Mir war es als würden Menschengesichter ringsumher sichtbar, aber ohne Augen – scheußliche, tiefe schwarze Höhlen statt ihrer. »Augen her, Augen her!« rief Coppelius, mit dumpfer, dröhnender Stimme.-
Seite 9, Zeile 19 ff.

Der Sandmann war eine Pflichtlektüre im Deutschunterricht und ich war anfangs gar nicht davon begeistert. Der Titel versprach anscheinend Einschlafgarantie, aber das Buch hat mich sehr positiv überrascht.

Die Novelle beginnt mit einem Briefwechsel von Nathanael an Clara bzw. Lothar, deren Bruder, in welchem Nathanael seine Situation schildert. Bereits auf den ersten Seiten erfährt man, wie sehr der Besuch des Coppola ihn mitnimmt und welch starken Gefühle Nathanael ergreifen. Schon allein dieser eine Besuch und die Erinnerung an das Unglück bringen ihn völlig aus der Fassung und zerstören fast sein Liebesglück, denn er kann sich nicht von seinen Gefühlen trennen. Zunächst flacht dann die Spannungkurve etwas ab, bevor sie wieder rassant steigt: eine weitere Person betritt das Geschehen, Olympia, die Tochter eines Professors. Doch wie passt sie da hinein und warum beobachtet sie die ganze Zeit Nathanael?

Ob Nathanael nun einen Sinn für das “böse Prinzip” in der Welt hat oder vielleicht geisteskrank ist, wird vom Autor nicht verraten. Clara versucht durch den ganzen Roman einen guten Einfluss auf ihren Verlobten auszuüben, doch der entzieht sich immer mehr ihren beruhigenden Worten. Realität und Phantasie verschwimmen und am Ende bleibt es dem Leser überlassen, über Nathanael zu urteilen.
Hoffmanns Bild von Nathanael zeigt die Gefährdung des Menschen, wenn dieser nicht mehr in der Lage ist, zwischen Traum und Realität zu unterscheiden. Nathanael ist gefangen in seiner Vorstellung, dem Mörder seines Vaters gegenüberzustehen. Doch ob Coppola und Coppelius ein und dieselbe Person sind, wird nicht verraten.

Neben den romantischen Leitbildern lässt Hoffmann auch bitterböse Ironie über die damalige Gesellschaft mit einfließen. Genau diese Ironie rundet den Roman hervorragend ab.
Nur wenige Bücher haben mich so überzeugt wie dieses. Obwohl es schon fast 200 Jahre alt ist, erzeugt es immer noch Spannung und ein gewisses Gänsehautgefühl, gerade heute, da die eigentliche Thematik aktueller denn je ist.

Stand: 11. Oktober 2012
Erscheinungsjahr: D 1817 (neu: z.B. 1991)
Verlag: Suhrkamp
ISBN: 3-15-000230-3
Seitenzahl: 42