Das Zauberhaus

Das Zauberhaus von Peter S. BeagleAls die Mutter der 13jährigen Jenny erneut heiratet, steht ein Umzug ins ländliche England an. Jenny ist außer sich vor Wut, denn das ohnehin mit sich und der Welt  unzufriedene Mädchen muß New York verlassen, ihre geliebte Katze Herr Kater muß für Monate in Quarantäne und sie hat überhaupt keine Lust auf ein Leben auf dem Bauernhof mit einem Stiefvater und zwei neuen Stiefbrüdern.
Doch kein Wutanfall hilft – Jenny findet sich bald auf dem alten, halb verfallenen Gut wieder. Und obwohl sie gewillt ist, den Rest ihrer Tage zu schmollen, kann sie sich der unheimlichen Magie des alten Anwesens nicht entziehen: Seltsame Dinge geschehen, und alte Sagen von Boggarts, Pookas und Geistern scheinen wahr zu werden…

-Als ich ganz klein war, wünschte ich mir nichts sehnlicher, als unsichtbar zu sein. Ich saß im Klassenzimmer und träumte mit offenen Augen davon, so wie andere Kinder davon träumten, Filmstar oder ein berühmter Basketballspieler zu sein.-
Eins

Peter S. Beagle glänzt nach wie vor mit einer der schönsten Erzählstimmen des Fantasy-Genres. Er war allerdings nie ein Vielschreiber, und thematisch hat er sich in den letzten Jahren eher in unserer Welt eingefunden, deren magische Aspekte er wie kein zweiter herausstellen kann, als in anderen Fantasy-Welten. In Das Zauberhaus (Tamsin) ist er wieder auf der Höhe dieser Kunst, und mit seiner jugendlichen Protagonistin wirkt der Roman vielmehr wie eine Anknüpfung an He! Rebeck!, die auch für jüngere Leser von Interesse sein könnte, als daß es Parallelen zu Beagles anderem großen Erfolg Das letzte Einhorn gäbe.
Dennoch kann man wortwörtlich vom ersten bis zum letzten Satz in einer anderen Welt aufgehen – der Welt von Jenny Glücksstein. Mit der Stimme der Protagonistin berichtet Beagle die Ereignisse auf der Stourhead Farm, und mit einer geradezu sensationellen Einfühlungsgabe bringt er dem Leser die Ängste, Leidenschaften, Fehler und Heldentaten einer Dreizehnjährigen nahe, die man schon nach wenigen Seiten persönlich zu kennen glaubt. Das macht vielleicht sogar sehr viel mehr Spaß, wenn man mit einem Augenzwinkern auf die Zeit des Dreizehn-Seins zurückblicken kann. Durch ihren meistens gegen sich selbst gerichteten Humor und vor allem ihre verschämte Ehrlichkeit wächst Jenny dem Leser recht schnell ans Herz.

Die Stourhead-Farm ist ein erstaunlich mystischer Erzählort, der dennoch ganz fest im ländlichen England und seiner Geschichte verwurzelt ist. Ohne Bruch und ganz natürlich tut sich die Welt der Geister auf und zieht Jenny und den Leser in ihren Bann, und die netten (und weniger netten) englischen Fabelwesen sind liebevoll in die Geschichte eingefügt. Wichtige Rollen in diesem Roman sind Themen zugedacht, die auch in Beagles früheren Werken eine Rolle spielen – Katzen, Musik und natürlich Geistern. Eine gute Recherche in der englischen Geschichte und viele Anspielungen auf das Werk Thomas Hardys (die aber keine Voraussetzung zum Verständnis der Handlung sind – über die englische Sagenwelt sollte man dagegen schon das ein oder andere gehört haben) komplettieren die Geschichte um einen Geist, der wegen eines alten Greuels noch an diese Welt gebunden ist. Die Auflösung dieses Fluchs erfolgt Puzzelstück um Puzzlestück.

Daß Beagle seine poetische Sprachkunst auch in den Worten eines jungen Mädchens ausspielen kann, ohne unglaubwürdig zu wirken, ist beeindruckend, dabei springen gerade auch in der deutschen Übersetzung an einigen Stellen geschickte Lösungen regelrecht ins Auge (auch wenn man nach dem Drachen auf dem Cover der deutschen Ausgabe im Text vergeblichen Ausschau halten wird).
Das Ende des Romans sticht noch einmal besonders hervor – es ist sozusagen ein Geschenk an alle Liebhaber erfundener Geschichten und des Märchenhaften im Alltag.

Stand: 27. Oktober 2012
Originaltitel: Tamsin
Erscheinungsjahr: USA 1999, D 2004
Verlag: Piper
Übersetzung: Andreas Brandhorst
ISBN: 3-496-26536-7
Seitenzahl: 359