Das Tor von Ivrel

Das Tor von Ivrel von C. J. CherryhTore, die verschiedene Welten miteinander verbinden, sind neben vereinzelten Waffen beinahe alles, was von der Zivilisation der qhal geblieben ist, die sich durch die Technologie der Tore selbst zerstört hat. Nun müssen alle Tore geschlossen werden, um diese Gefahr für die Zukunft zu bannen.
Der ausgestoßene Krieger Vanye befreit unabsichtlich eine Frau aus einer “magischen” Anomalie, und aus Erzählungen erkennt er in ihr Morgaine wieder, eine Kriegerin, die vor hundert Jahren auf einem Feldzug gegen den Herrscher Thye Tausende in den Tod führte. Mithilfe des komplexen Ehrsystems von Vanyes Heimat gelingt es ihr, den jungen Mann an sich zu binden, damit er sie beim erneuten Kampf gegen Thye unterstützt.

-Die Tore waren der Untergang der qhal.-
Prolog

Eine Fantasy-Geschichte mit SF-Hintergrund, vordergründig eine klassische Queste, die allerdings als ungewöhnliche Charakterstudie erzählt wird, mit Action, mächtigen Zauberwaffen, etlichen Umstürzen und einem Bruderzwist – und das alles auf wenig mehr als 200 Seiten? Das müssen die 70er sein, als man noch mit allerlei bunten Weltentwürfen und die Vorstellungskraft sprengenden Ideen herumexperimentierte, um das Fantasybewußtsein ein wenig zu erweitern.
Zugegeben, so richtig bunt wird es nicht in C. J. Cherryhs Debutroman, der den Grundstein für ihre langlebige Karriere legte. Bis auf ein paar als Magie interpretierte Überreste – und die Tore – ist kaum etwas vom galaktischen Imperium geblieben, und die relativ ahnungslose Menschheit lebt in einer mittelalterlichen, stark von einem Ehrenkodex und Blutsbanden geprägten Kultur. Die vor allem im Prolog abgehandelten SF-Topoi sind voll in diese Fantasy-Welt integriert, so daß die Queste, auf der der gefürchtete Herrscher vernichtet und das Tor unter seiner Kontrolle geschlossen werden soll, im Fantasy-Duktus erzählt werden kann. Trotzdem ist die Struktur des Romans erfreulich wenig stereotyp, vielmehr liegt der Fokus auf der Interkation der beiden Hauptfiguren, die sich in einem komplizierten Abhängigkeitsverhältnis befinden, das aus der Sicht des schwächeren Parts dieser Zwangs-Liaison berichtet wird. Die (zum Gutteil von den beiden ausgelösten) vielschichtigen Geschehnisse in der Welt – politische, magische, individuelle – tauchen eher am Wegesrand auf und dominieren die Handlung nicht, und letzten Endes geht es auch nicht unbedingt in erster Linie um die Bewältigung der Queste.

Cherryh setzt vor allem auf das Spannungsfeld zwischen ihren beiden ungleichen Figuren mit dem starken Machtgefälle: Die unmenschliche, aus der Vergangenheit angereiste Heldin mit üblem Leumund bleibt für den Erzähler Vanye (und damit auch für den Leser) ein Geheimnis, mit seinen Annahmen über sie liegt er nur manchmal richtig, auch wenn sie im Verlauf der Geschichte menschlicher und verständlicher wird, auch dadurch, daß der Leser langsam die Schutzwälle erahnen kann, die sie errichten muß, um ihrer Tätigkeit nachzugehen. Der allzu menschliche, schwache Vanye fungiert als ihr Gewissen, denn seine Ehre bindet ihn zwar an seine Herrin, allerdings auch an die beiden Völker, in denen seine Wurzeln liegen. Dieser Loyalitätskonflikt wird durch einen stark portraitierten Bruderzwist verschärft, den Vanye auszutragen hat. Die angebliche Vorherbestimmung durch Blutsverwandtschaft und ererbte Charakterzüge spielt bei all diesen Beziehungen eine große Rolle und erweist sich manchmal als richtig, viel häufiger jedoch als nichtig.

Ohne großes Bohei bekommt so auch die Welt eigene Züge, die ausgestoßenen ilin–Krieger erinnern stark an Ronin, die unterschiedlichen Menschenvölker werden mit kleinen Details charakterisiert, und die geschichtlich und kulturell verarbeiteten Bezüge auf das untergegangene Reich der qhal blitzen hier und da auf.
Die Abenteuer der beiden Figuren sind jedoch ausgesprochen realistisch, Kämpfe und Flucht unter widrigen Umständen fordern immer ihren Tribut, so daß Vanye bis zum Ende regelrecht auf dem Zahnfleisch kriecht. Die klassischen Fantasyelemente stechen dabei um so deutlicher hervor, etwa Wechselbalg, die cherryh’sche Variante des seelenverschlingenden Schwertes. Sogar die Pferde bekommen ganz genretypisch Namen und Persönlichkeit, doch klassisch episch wird es trotzdem kaum. Vielmehr wirken die Reiseabenteuer von Morgaine und Vanye bisweilen wie ein Kammerspiel unter offenem Himmel, unterbrochen durch kurze Kampfszenen und actionreichere Aufenthalte auf Burgen und in Herrscherhallen.

Mit ihrer feinen Charakterisierung in Das Tor von Ivrel war Cherryh ihrer Zeit definitiv ein Stück voraus, allerdings muß man einräumen, daß auch die Übersetzung aus den 70ern stammt und bei weitem nicht so gut wie der Roman gealtert ist.

Stand: 06. Juni 2012
Originaltitel: Gate of Ivrel
Erscheinungsjahr: USA 1976, D 1979
Verlag: Heyne
Übersetzung: Thomas Schlück
ISBN: 3-453-30540-x
Seitenzahl: 219