Am Abgrund

Cover des Buches Am Abgrund von Wolfgang HohlbeinTranssilvanien im 15. Jahrhundert: Der junge Frederic hat als Einziger das grauenhafte Massaker der Inquisition in seinem Heimatdorf überlebt. Er schließt sich dem Schwertkämpfer Andrej an, der ihn auf die Jagd nach den Mördern mitnimmt. Eine gefährliche und abenteuerliche Reise beginnt und schon bald hegt Frederic einen furchtbaren Verdacht: Ist sein scheinbar unverletzbarer Beschützer mit dem Teufel im Bunde?

-Ein dünner Ast peitschte in sein Gesicht und hinterließ einen blutigen Kratzer auf seiner Wange. Die Wunde war nicht tief und würde so schnell heilen wie alle anderen Verletzungen, die er sich im Laufe seines Lebens zugefügt hatte.-
Kapitel 1

Wolfgang Hohlbein erschuf mit der Chronik der Untersterblichen einen gelungenen Mix aus Geschichtsstunde und Horrorelementen, wobei er aber nicht auf das typische Klischee à la Dracula zurückgreift. Er nimmt vielmehr Elemente der traditionellen Vampir-Erzählungen auf und fügt ihnen eigene hinzu, so dass eine völlig neue Sichtweise auf den “Vampyr” entsteht. Als Beispiel sei an dieser Stelle die Vampir-Werdung genannt: Im Gegensatz zum ursprünglichen Biss durch einen Vampir, wurde Andrej Delany durch einen Unfall und einer folgenden, fast tödlichen Krankheit als Kind zu einem (fast) Unsterblichen, dem Krankheiten und Verletzungen nicht so viel anhaben können wie normalen Menschen. Auch stellt sich Hohlbein dem Mythos entgegen, dass Vampire tagsüber schlafen und und nur nachts reisen.

In diesem ersten Buch der Reihe ist Delany auf dem Weg in sein Heimatdorf, dass er seit Jahren nicht gesehen hat. Wer nun eine ausführliche Lebensgeschichte von Andrej befürchtet, kann beruhigt weiterlesen. Nur sporadisch wird etwas über Andrejs Leben erzählt, wobei der Schatten seiner Vergangenheit stets auf ihm lastet. Hohlbein baut mit Andrej Delany einen Helden auf, der an zwei Seiten zu kämpfen hat: die äußeren Bedrohungen, die ihm auf seinen Reisen begegnen und die Bedrohung in seinem Inneren: der Vampyr, der im Laufe der Zeit immer mächtiger wird. Wie lange Andrej ihn noch zurückhalten kann, bleibt offen.

Frederic, die zweite wichtige Person im Auftaktroman, scheint besessen zu sein von dem Gedanken der Rache, obwohl er gerade mal ein Kind ist. Es scheint  aus heutiger Sicht etwas befremdlich, dass ein Kind solche Ziele, die Rache an den Mördern seiner Eltern, hat, jedoch muss man auch den Hintergrund berücksichtigen: Im 15. Jahrhundert war der Sprung zum Erwachsenen viel schneller erreicht als heutzutage. Doch auch das tröstet nicht darüber hinweg, dass Frederics Charakter kaum über diesen Wunsch hinaus geht: er bleibt im Gegensatz zu Andrej eine etwas hohle Figur. Während Delany durch alle Bücher hindurch ganz verschiedene Entwicklungen durchmacht, ist Frederics Position relativ festgelegt, obwohl es auch überraschende Wendungen gibt.

Hohlbeins Stil fesselt schon nach den ersten Seiten und man möchte das Buch nicht so schnell aus der Hand legen. Einziges Manko: wegen der spannenden Geschichte ist man viel schneller mit dem Buch fertig als beabsichtigt. Auch die nachfolgenden Bücher bleiben recht dünn, obwohl es Hohlbein gelingt, stets eine gute Geschichte zu erzählen.
Alles in allem eine gute Alternative zu den Dracula-Büchern.

Stand: 09. September 2012
Erscheinungsjahr: 1999
Verlag: Ullstein
ISBN: 3-548-25681-3
Seitenzahl: 381