Die Artussage

Im Zentrum dieses Artikels steht die Herausbildung der Artussage im frühen bis hohen Mittelalter und die Frage nach ihrem möglichen historischen Kern. Die Geschichte des Artusstoffs in der Literatur wird in einem gesonderten Artikel nachgezeichnet, den man als Fortsetzung des vorliegenden Texts, aber auch unabhängig davon lesen kann.

Die Artussage erfreut sich von allen mythologischen Stoffen, die Eingang in die Fantasyliteratur gefunden haben, vielleicht der größten Beliebtheit.

Zum Teil mag dies den Anfängen der modernen Fantasy im englischsprachigen Raum geschuldet sein, in dem die Sagentradition des eigenen Kulturkreises natürlich besondere Beachtung findet, doch weder dieser Umstand allein noch der schon im Mittelalter einsetzende Einfluss des Artusstoffs auf die gesamte mitteleuropäische Literatur können seine bis heute andauernde Popularität erklären.

Ausschlaggebend für den Reiz, den die Artusthematik auf das Genre ausübt, dürfte vielmehr sein, dass sie sich von den frühesten Bearbeitungen an als sehr flexibel erwiesen hat, verschiedenste fremde Motive und Stoffe zu absorbieren und damit unterschiedlichste Spielarten des Erzählens zu gestatten: Wie in kaum einem anderen Sagenkomplex vermischen sich hier Geschichte, Mythologie, märchenhafte Züge, Abenteuer, Ritterromantik, Spiritualität unterschiedlicher Ausprägung, moralische Belehrung und düstere Tragik.

Im Folgenden soll ein knapper Überblick über die frühe Herausbildung des Artusstoffs geboten werden, auf der spätere literarische Bearbeitungen fußen.

Die historischen Ursprünge der Artussage liegen in Britannien und entstammen einer quellenmäßig nur unzureichend erfassbaren Epoche. Wenn auch die Bezeichnung Dark Ages aufgrund der damit verbundenen negativen Konnotationen unter Fachleuten mittlerweile umstritten ist, bleiben viele damalige Ereignisse in der Tat „dunkel“.

Als gesichert gilt, dass im frühen 5. Jahrhundert das (west-)römische Reich seine Truppen aus Britannien abzog und sich in der Folgezeit nicht mehr zuständig fühlte, dort militärisch oder verwaltungstechnisch zu intervenieren, obwohl die Bevölkerung zumindest im Süden und Osten Britanniens weitgehend romanisiert und christianisiert war.

Diese keltoromanische Bevölkerung sah sich alsbald Einfällen der Skoten und Pikten aus den nie römisch beherrschten nördlichen Gebieten im heutigen Schottland ausgesetzt. Vermutlich zur Verteidigung gegen diese Bedrohung riefen die Romano-Briten als militärische Unterstützung Sachsen, die seit dem 3. Jahrhundert wiederholt als Seeräuber und Plünderer in Britannien erschienen waren, nach dem Vorbild römischer foederati ins Land. Binnen weniger Jahrzehnte kam es jedoch zu Konflikten um Siedlungsland und Macht zwischen den Neuankömmlingen und der alteingesessenen Bevölkerung. Kriegerische Auseinandersetzungen, in denen am Ende die Sachsen (und andere einwandernde Volksstämme wie Angeln und Jüten) die Oberhand behielten, prägten das 5. und 6. Jahrhundert.

Sofern sich die romano-britische Bevölkerung nicht der Lebensweise der Eroberer anpasste, floh sie in Randgebiete wie Wales und Cornwall oder über das Meer in die (nach den einwandernden Briten benannte) Bretagne.

Für die Zeit um 500 lässt sich jedoch ein Siedlungsstopp (bzw. in manchen Gebieten sogar Rückzug) der Sachsen nachweisen; erst nach einigen Jahrzehnten sind wieder verstärkte kriegerische Aktivitäten belegbar.

Dieser Befund wird mit der für die Romano-Briten siegreichen Schlacht am Mons Badonicus in Verbindung gebracht, die zuerst Gildas, ein Geistlicher des 6. Jahrhunderts, erwähnt. Er gibt an, im Jahr der Schlacht geboren zu sein. Sein somit als einziger relativ zeitgenössischer Bericht nennt allerdings keine beteiligten Befehlshaber, erwähnt aber zuvor einen Ambrosius Aurelianus als Anführer der Briten. Gestützt auf Gildas berichtet auch Beda Venerabilis in seiner Historia ecclesiastica gentis Anglorum über Ambrosius und die entscheidende Schlacht.

Erst in der Historia Brittonum des Nennius aus dem 9. Jahrhundert wird ein „dux bellorum“ namens Arthur als siegreicher britischer Heerführer in dieser Schlacht genannt. Diese Schilderung bildet zugleich die erste gesicherte Erwähnung der uns heute als „König Artus“ vertrauten Figur.

Bei Nennius wird Artus zugeschrieben, ein Bündnis mehrerer britischer Könige gegen die Sachsen angeführt zu haben. Auch die Überlieferung, dass ein filius Arthuri militis – ein Sohn des Soldaten/Kriegers Arthur(us) – von diesem erschlagen worden sei, erscheint hier zum ersten Mal.

Beide Episoden erscheinen auch in den Annales Cambriae des 10. Jhs.: Hier wird ein bellum Badonis für das Jahr 516 erwähnt, während für das Jahr 537 der Tod Arthurs und eines gewissen Medraut (der hier allerdings noch nicht als sein Sohn bezeichnet wird) in einem Kampf vermerkt ist.

Vom 10. Jh. an finden sich weitere knappe Erwähnungen eines nun gelegentlich schon als „König“ apostrophierten Artus in Dichtungen und Heiligenviten.

Obwohl der Quellenwert vieler der genannten Textstellen fraglich ist, ergibt sich als Fazit doch immerhin die Möglichkeit eines geschichtlichen Kerns, die auch von der historischen Forschung nicht ausgeschlossen wird:

Lässt man sich auf die Historizität von ‘Arthur’ ein, könnte nach Ambrosius Aurelianus ein jüngerer Befehlshaber mit diesem Namen den Oberbefehl der Briten übernommen und schließlich am Mons Badonicus einen entscheidenden Erfolg errungen haben. (…) Nimmt man die weiteren Zeugnisse zusammen, ergibt sich zudem, dass ‘Arthur’ Christ war und (…) nach der Schlacht am Mons Badonicus wohl noch etwa für 20 Jahre wirkte.
(Jürgen Sarnowsky: England im Mittelalter, Darmstadt 2002, S. 17f.)

Das mögliche historische Vorbild der Artusgestalt ist also am Übergang zwischen Spätantike und Frühmittelalter zu suchen. Die zuweilen aufgrund der Namensähnlichkeit versuchte Identifikation mit einem unter anderem in Britannien aktiven römischen Offizier des 2. Jhs., Lucius Artorius Castus, ist allein schon deshalb problematisch.

Andere Theorien versuchen eine Ableitung des Artusnamens von dem indogermanischen Wortstamm art- für „Bär“ und diskutieren, allerdings ohne zwingende Indizien, die Möglichkeit, dass es sich dabei um einen Beinamen einer historisch belegten Gestalt der Epoche (wie etwa des oben erwähnten Ambrosius Aurelianus) gehandelt haben könnte.

Ein Beleg für das Auftauchen des Begriffs „Bär“ als Anrede für eine Person im damaligen Britannien findet sich immerhin bei Gildas, der einen Herrscher namens Cuneglasus als urse – „du Bär“ – anspricht.

An die oben skizzierten historischen Vorgänge anknüpfend bildete sich eine zunächst mündliche Sagentradition heraus, für die der französische Autor Jean Bodel im 12. Jahrhundert die bis heute in der Wissenschaft verwendete Bezeichnung matière de Bretagne prägte, um sie von der matière de France (dem Sagenkreis um Karl den Großen) und der matière de Rome (der antik-römischen Sagenwelt) abzugrenzen. Interessant ist dabei die weniger häufig als der Begriff an sich zitierte Tatsache, dass Jean Bodel den letztgenannten Sagenkreisen höhere Wertschätzung entgegenbringt, während er die auf der matière de Bretagne basierenden Erzählungen als vain et plaisant beschreibt (Chanson des Saisnes, V. 9).

Diese Charakterisierung als zwar gefällige (plaisant) aber doch nicht sonderlich tiefgründige (vain) Unterhaltung mag in diesem Fall zwar einer bewussten Abwertung gegenüber der matière de France dienen, auf die Jean Bodel selbst zurückgreift, könnte aber zugleich darauf hindeuten, dass sich die Verbindung zwischen der Artussage und märchenhaften, fabulierfreudigen Elementen schon früh ergeben hat.

Ihre schriftliche Fixierung erfuhr die Sage in ihrer ausgeformten Gestalt zuerst im 12. Jh. in der Historia Regum Britanniae des Geoffrey von Monmouth, die sich schon früh großer Beliebtheit erfreute und in zahlreichen Handschriften überliefert ist.

Bei Geoffrey erscheint Artus als König, der durch seine Eroberungszüge in Konflikt mit dem Römischen Reich gerät. Vor allem aber sind viele Motive vorgeprägt, die später als klassisch für die Artussage gelten können, so etwa Artus’ Zeugung durch Uther Pendragons Ehebruch mit der Frau des Herzogs von Cornwall, Merlin als zauberkundiger Berater, Artus’ prächtige Hofhaltung, seine Ehe mit Guinevere (hier: Guanhumara), die ihn betrügt (in diesem Fall mit seinem als Stellvertreter eingesetzten Neffen Mordred) und sich später in ein Kloster zurückzieht, und schließlich Artus’ tödliche Verwundung in der Schlacht gegen Mordred und seine Entrückung nach Avalon.

Geoffreys Darstellung bildet den Höhe- und zugleich Schlusspunkt der Überlieferung des Artusstoffs durch Texte mit eher historiographischer als belletristischer Tendenz.

Vom Hochmittelalter an bildete sich dagegen eine Tradition der volkssprachlichen literarischen Behandlung des Artusstoffs heraus, die sich von Anfang an durch eine bewusste Gestaltung und Umformung der Sage durch den jeweiligen Autor auszeichnete.

Die Geschichte des Stoffs von der hochmittelalterlichen Artusepik an hat daher die Behandlung in einem eigenen Kapitel verdient.