Zum 80. Geburtstag von Colin McLaren

Bibliotheka Phantastika gratuliert nachträglich Colin McLaren, der am vergangenen Dienstag 80 Jahre alt geworden ist. Der am 14. Dezember 1940 in Eastcote, Middlesex, geborene Colin Andrew McLaren hat sich anscheinend nie ins Rampenlicht gedrängt, denn abgesehen von ein paar wenigen persönlichen Daten ist über ihn in den Weiten des Internets kaum etwas zu finden. McLaren hat seit Ende der 60er Jahre in Schottland gelebt und war etliche Jahre Archivar an der University of Aberdeen. In den 80ern hat er eine Handvoll Kinder- und/oder Jugendbücher geschrieben, und in den 90ern zwei Werke über die Geschichte der Universität von Aberdeen. Sein Erstling fällt demgegenüber ein bisschen aus dem Rahmen, denn Rattus Rex (1978) ist ganz eindeutig ein phantastischer Roman – und der Grund, warum Colin McLaren hier heute auftaucht.
Rattus Rex von Colin McLarenDas London des (mittleren) 19. Jahrhunderts ist für den Großteil der Menschen, die dort leben, alles andere als ein heimeliger Ort. Doch in den letzten Monaten des Jahres 1863 bricht eine wahre Verbrechens- und Katastrophenwelle über die Stadt herein, die nicht nur von einer noch nie dagewesenen Zahl unerklärlicher Brände und ungewöhnlich vielen Gasleitungsexplosionen und Rohrbrüchen heimgesucht wird, sondern in der auch immer mehr Menschen verschwinden – Bettler von den Straßen, Säuglinge aus Kinderwagen, Leichen aus frischen Gräbern. Wie sich alsbald herausstellt, stecken Ratten hinter all diesen Problemen – Ratten, die sich verhalten, als wären sie überdurchschnittlich intelligent. Der Journalist Jabetz Rimmer und sein Adlatus Matthäus Markus wollen den Geschehnissen auf den Grund gehen und begeben sich dazu in die riesige Kanalisation unter der Stadt, wo sie eine erschreckende Entdeckung machen …
Rattus Rex (unter diesem Titel 1981 auch auf Deutsch erschienen) punktet mit atmosphärisch dichten Beschreibungen des alten London und der Menschen, die in der von scharfen sozialen Gegensätzen gekennzeichneten Stadt leben. Und mit der Darstellung der in der Kanalisation hausenden Ratten, die – von tatsächlich intelligenteren Artgenossen gelenkt – einen ebenso bedrohlichen wie schwer fassbaren Gegner abgeben. Als ein gewisses Lesehemmnis für Leser und Leserinnen, die bislang vor allem mit nach der Jahrtausendwende entstandenden Romanen und Erzählungen vertraut sind, könnten sich der schnörkelige, geruhsame Erzählduktus (der nicht bedeutet, dass keine derben Szenen auftauchen) und das Cockney bzw. dessen deutsche Entsprechung erweisen, das manche Einwohner Londons sprechen. Dessen ungeachtet bleibt festzuhalten, dass Colin McLaren mit Rattus Rex ein origineller und ungewöhnlicher Roman gelungen ist – der nebenbei bemerkt eine Anspielung auf eine Aussage des berühmten Detektivs aus der Baker Street darstellt* – und es schade ist, dass er sich danach nie wieder der Phantastik zugewandt hat.

* – gemeint ist diese hier: “Matilda Briggs was not the name of a young woman, Watson,” said Holmes in a reminiscent voice. “It was a ship which is associated with the giant rat of Sumatra, a story for which the world is not yet prepared.” (Aus “The Adventure of the Sussex Vampire” (1924))

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Zum 75. Geburtstag von Pauline Gedge

Bibliotheka Phantastika gratuliert Pauline Gedge, die vorgestern 75 Jahre alt geworden ist. Vor einiger Zeit hätte man noch davon ausgehen können, dass der Name der am 11. Dezember 1945 in Auckland auf der Nordinsel Neuseelands geborenen und nach einigem Hin und Her seit den 70er Jahren dauerhaft in Kanada lebenden Pauline Gedge zumindest denjenigen Lesern und Leserinnen etwas gesagt hätte, die sich für historische Romane interessieren. Denn ihre Karriere hat mit historischen Romanen – genauer mit Child of the Morning (1977; dt. Die Herrin vom Nil (1981) – die Geschichte der ägyptischen Königin Hatschepsut) und The Eagle and the Raven (1978; dt. Der Adler und der Rabe (1988) – die Geschichte der keltischen Königin Boudicca*) – begonnen, die generell den mit Abstand größten Teil ihres Œuvres ausmachen und teilweise überaus erfolgreich waren. Auch in Deutschland; so hat sich z.B. Die Herrin vom Nil hierzulande weit über 250.000 Mal verkauft. Aber aller Ruhm ist vergänglich, und während in den 80er und 90er Jahren noch alle Gedge-Romane ins Deutsche übersetzt wurden, wurde die Übersetzung ihrer letzten Trilogie The King’s Man (2007-2011) nach dem ersten Band (Der Seher des Pharao (2009)) abgebrochen; im Deutschland der Wanderhuren bestand anscheinend kein Interesse mehr an den Abenteuern von Amenophis, dem Architekten des Tempels von Luxor.
Aber hier soll es ja gar nicht um Pauline Gedges historische Romane gehen, sondern um ihre Ausflüge in die Phantastik, deren erster und gewichtigster als ihr dritter Roman 1982 unter dem Titel Stargate erschienen ist (und der mit dem gleichnamigen Film – außer der Tatsache, dass es in beiden Werken um Weltentore geht – nichts zu tun hat). Stargate erzählt vom Ende eines anfangs paradiesischen Universums, das vor Äonen mitsamt aller in ihm lebenden Wesen vom Worldmaker erschaffen wurde, und in dem die unsterblichen, göttergleichen, aufs engste mit ihren jeweiligen Sonnen verbundenen Sunlords über Welten herrschen, die von im wahrsten Sinne des Wortes unschuldigen (keineswegs nur menschlichen) Sterblichen bewohnt werden. Mittels der Stargates können die Sunlords alle anderen Welten besuchen – doch von den ehemals unzähligen Welten sind zu Beginn des Buches nur noch vier übrig; über alle anderen ist ein Übel gekommen, ihre Stargates wurden geschlossen, ihre Sunlords existieren nicht mehr, ihre Sonnen haben sich verdunkelt, und die isolierten Welten sind der Verdammnis anheimgefallen. Denn der Worldmaker ist zum Unmaker geworden und setzt alles daran, seine Schöpfung zu vernichten – und die vier letzten Sunlords versuchen verzweifelt, das zu verhindern …
Stargate von Pauline GedgeStargate ist ein in mehrfacher Hinsicht sehr eigenwilliger Roman, der sich keinem Genre so recht zuordnen lässt, sondern irgendwo zwischen SF und Fantasy oszilliert. Die tragische Geschichte mäandert dabei in kleinen Episoden vor sich hin (was damit zu tun haben dürfte, dass Gedge sich in diesem Fall nicht an historischen Ereignissen entlanghangeln konnte), aber sie wird auf so eindringliche, märchenhafte Weise erzählt, dass man sich ihrer Sogwirkung nur schwer entziehen kann (oder aber gar nicht erst in sie hineinfindet). Und sie wirft dabei Fragen auf, die ein bisschen tiefer gehen, als man anfangs meinen könnte. Wer also wissen will, wie sich das Ende des Paradieses anfühlen kann und sich dafür nicht an Miltons Paradise Lost wagen will (als dessen SF/F-Äquivalent manche Rezensenten den Roman bezeichnen), kann ja mal einen Versuch mit Stargate machen, vielleicht auch in der deutschen Version, die unter dem Titel Durch mich geht man hinein zu Welten der Trauer 1984 im Rahmen von Goldmanns Edition ’84. Die positiven Utopien erschienen ist. Dass der Roman in dieser Reihe vollkommen fehl am Platz war, versteht sich von selbst.** 😉
Da Stargate zwar für den Prix Aurora (das kanadische Pendant des Hugo) nominiert wurde, bei ihrer Leserschaft allerdings längst nicht so gut ankam wie ihre vorangegangenen Romane, wandte Pauline Gedge sich mit The Twelfth Transforming (1984; dt. Pharao (1985)) wieder dem historischen Roman zu, doch Scroll of Saqqara (1990, auch Mirage (USA 1991; dt. Der Sohn des Pharao (1992)), die Geschichte des Arztes und Magiers Khamwaset, der auf der Suche nach der legendären Schriftrolle des Gottes Thoth, die angeblich ihrem Besitzer die Macht, die Toten aufzuwecken, und zudem die Unsterblichkeit verleiht, reihenweise Gräber schändet und schließlich Dinge in Bewegung setzt, die sein Leben von Grund auf verändern, hat ebenso viel von einem Schauerroman wie von einem historischen Roman, während man The Covenant (1992; dt. Die Herren von Rensby Hall (1994)) wohl am ehesten als Mystery-Thriller bezeichnen könnte.
Die danach folgenden Romane – House of Dreams (1992) und dessen auf Wunsch der Leser und Leserinnen verfasste Fortsetzung House of Illusions sowie die Lords of the Two Lands Trilogy (1998-2000)*** – kommen dann ohne phantastische Elemente aus, wohingegen in der The King’s Man Trilogy (2007-2011) die Hauptfigur nach ihrem Tod von den Göttern zurück ins Leben geschickt wird …
So gesehen, ist es für Leserinnen und Leser, die nichts gegen ein bisschen Phantastisches in ihren historischen Romanen haben, durchaus bedauerlich, dass die Übersetzung der besagten Trilogie nach einem Band abgebrochen wurde. Andererseits kann man als Fantasy-Afficionado auch an Pauline Gedges rein historischen Romanen Gefallen finden, vor allem an The Eagle and the Raven, in dem es um den Freiheitskampf der Kelten in den nebelverhangenen Tälern und Wäldern Albions geht, und an der Lords of the Two Lands Trilogy, in der der Aufstand der Ägypter gegen die Fremdherrschaft der Hyksos zum Thema gemacht wird.

* – genau genommen ist es fast ebenso sehr die Geschichte von Caradoc wie die von Boudicca
** – die Sache mit der Edition ’84 wäre fast mal einen eigenen Blogbeitrag wert, auch wenn es dabei um SF geht
*** – die deutschen Titel werden – falls gewünscht – in einem Kommentar nachgeliefert; sie hier noch mit einzubauen, wäre vielleicht des Guten zuviel …

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Zum 50. Geburtstag von Marlon James

Bibliotheka Phantastika gratuliert Marlon James, der am Dienstag seinen 50. Geburtstag feiern konnte. Wenn man sich die bis 2014 erschienenen ersten drei Romane des am 24. November 1970 in Kingston auf Jamaika geborenen Marlon James anschaut – John Crow’s Devil (2005; dt. Tod und Teufel in Gibbeah (2009), auch Der Kult (2018)), in dem es um einen bizarren Kult in einem jamaikanischen Dorf in den 1950er Jahren geht, The Book of Night Women (2009), in dessen Mittelpunkt eine jamaikanische Sklavin während der Kolonialzeit steht, und schließlich A Brief History of Seven Killings (2014; dt. Eine kurze Geschichte von sieben Morden (2017)), die fiktive Geschichte um einen tatsächlich geschehenen Mordanschlag auf den Reggae-Sänger Bob Marley – und außerdem in Betracht zieht, dass der letztgenannte Roman mit einer Vielzahl von Preisen – darunter dem Man Booker Prize*, dem wichtigsten britischen Literaturpreis – ausgezeichnet wurde, war nicht unbedingt zu erwarten, dass James sich anschließend der Fantasy und somit der Genreliteratur zuwenden würde. Von daher hat seine Ankündigung, dass er als Nächstes eine epische Fantasy-Trilogie schreiben würde (“an African Game of Thrones“) in der angloamerikanischen Literaturszene durchaus für Überraschung gesorgt. Aber auch für jede Menge Neugier.
Black Leopard, Red Wolf von Marlon JamesSomit dürfte Black Leopard, Red Wolf (2019; dt. Schwarzer Leopard, Roter Wolf (2019)) der vielleicht am meisten erwartete** und auch inner- wie außerhalb der angloamerikanischen Phantastik-Szene am häufigsten besprochene Fantasyroman der ersten Jahreshälfte, wenn nicht des ganzen Jahres 2019 gewesen sein. Und man muss James einfach zubilligen, dass er seine Ankündigung größtenteils wahr gemacht hat, denn im Gegensatz zu so manchen Kolleginnen und Kollegen, die in der “Hochliteratur” zu Ruhm und Ehren gekommen sind, hat er keineswegs nur ein bisschen mit dem Genre geflirtet, sondern hat es kräftig umarmt, ist sozusagen mitten rein gesprungen. Ein “African Game of Thrones” ist Black Leopard, Red Wolf, der Auftakt der Dark Star Trilogy allerdings nicht geworden, wie generell alle Vergleiche – sei es mit J.R.R. Tolkien oder Angela Carter – kräftig hinken bzw. nur jeweils einen kleinen Teilaspekt von James’ Roman abdecken, denn der stellt Genrekonventionen mindestens so häufig auf den Kopf oder zertrümmert sie regelrecht, wie er sich ihrer bedient.
Das geht schon mit Tracker (dt. Sucher), dem Ich-Erzähler los, der aufgrund seiner besonderen Spürnase den Auftrag bekommen hat, ein seit drei Jahren vermisstes Kind zu suchen, und der nun als Gefangener von dieser Suche erzählt. “The child is dead. There is nothing left to know”, sind seine ersten Worte – und dann erzählt er mehr als 600 Seiten lang drauflos. Denn Tracker erzählt nicht nur von der Suche nach dem Kind und all dem, was er dabei erlebt hat, sondern damit aufs Engste verwoben auch die Geschichte seines eigenen Lebens, wobei seine Art zu erzählen es teilweise schwierig macht, die jeweiligen Geschehnisse zeitlich zu verorten – ganz abgesehen davon, dass er ein unzuverlässiger Erzähler ist. Hinzu kommt mit einem mythischen Afrika ein Setting, in dem es von ebenso faszinierenden wie fremdartigen Wesen wimmelt, die sich deutlich von den Drachen, Elfen und Zwergen der typischen High Fantasy unterscheiden. Und ein Ausmaß an Gewalt und Sex, das man in dieser Form bislang selten erlebt hat.
Das alles macht Black Leopard, Red Wolf zu einer herausfordernden, manchmal vielleicht auch anstrengenden Lektüre, wobei man andererseits sagen muss, dass der Roman (zumindest im Original) mit sehr viel Stilwillen erzählt ist, mit einem beeindruckenden Bilderreichtum aufwartet und auch erzählerisch interessante Wege geht. Und trotz des Bluts und all der anderen Körperflüssigkeiten, die (etwas zu) überreichlich aus den Seiten quellen, hat man nie das Gefühl, dass die Gewalt, die in diesem Roman so präsent ist, als erzählerischer Selbstzweck dient (wie es in so vielen Grimdark-Romanen der Fall ist); sie wirkt eher wie die Münze, die in einer im Gegensatz zu vielen “klassischen” Fantasywelten instabilen, von Gewalttätigkeit und Willkür durchtränkten Welt das einzige allseits anerkannte Zahlungsmittel ist.
Black Leopard, Red Wolf stellt zweifellos eine Bereicherung des Genres dar; ob der Roman – bzw. genauer: ob die Dark Star Trilogy – als wichtiger neuer Eckpunkt der Fantasy oder eher als ein nach kurzer Aufregung vergessenes Kuriosum in die Geschichte des Genres eingehen wird, lässt sich heute noch nicht absehen. Einen ersten Anhaltspunkt könnte der zweite Band der Trilogie liefern, der unter dem Titel Moon Witch, Night Devil 2021 erscheinen soll und aus der Sicht der Hexe Sogolon erzählt wird (was vermutlich dazu führen wird, dass Vieles, was Tracker im ersten Band erzählt, in einem neuen, ganz anderen Licht erscheinen wird).

* – der seit 2019 nur noch Booker Prize heißt
** – okay, es gibt vermutlich mindestens zwei Romane, die noch mehr erwartet wurden … und immer noch werden, denn die sind bislang immer noch nicht erschienen …

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Zum Gedenken an Robert Bloch

Bibliotheka Phantastika erinnert an Robert Bloch, dessen Todestag sich vor rund zwei Wochen zum 25. Mal gejährt hat. Der am 05. April 1917 in Chicago, Illinois, geborene Robert Albert Bloch dürfte vermutlich tatsächlich zu den Autoren zählen, an die man erinnern muss, denn den jüngeren Lesern und Leserinnen dürfte er – wenn überhaupt – wahrscheinlich allenfalls noch als Autor des Romans Psycho (1959) ein Begriff sein, der Vorlage für den gleichnamigen Film von Alfred Hitchcock (1960), welcher wiederum als eines der wichtigsten Werke des “Master of Suspense” und als Klassiker des amerikanischen Kinos gilt.*
Robert Bloch: PsychoFür Bloch selbst war Psycho (dt. Kennwort Psycho (1960) bzw. Psycho (1966), NÜ Psycho (2012)) – dem er mit Psycho II (1982, dt. Psycho II (1990)) und Psycho House (1990; dt. Psycho-Haus (1992)) noch zwei Fortsetzungen folgen ließ – ein Meilenstein in seiner damals schon 25 Jahre dauernden Karriere; von nun an galt er als Meister des psychologischen Horrors, und schon bald öffneten sich ihm auch die Türen zu neuen, lukrativen Märkten z.B. als Drehbuchautor für diverse TV- und Filmprojekte (so schrieb er beispielsweise in der zweiten Hälfte der 60er die Skripte für drei Episoden der originalen Star-Trek-Serie).
Angefangen hat Robert Bloch jedoch als Autor phantastischer Kurzgeschichten, und erschienen sind diese Storys – wie die vieler seiner Zeitgenossen – im vielleicht wichtigsten phantastischen Pulp-Magazin der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts: in Weird Tales. Er war ein langjähriger Leser des Magazins und stand schon als 17-Jähriger in Briefkontakt mit H.P. Lovecraft, gehörte einige Zeit später selbst zum “Lovecraft-Circle”. Und schrieb in diesem Alter einen Leserbrief, in dem er Howards Conan-Storys harsch kritisierte, der in der November-Ausgabe von WT veröffentlicht wurde – zwei Monate, ehe seine erste eigene Story “The Feast in the Abbey” erschien. Man könnte sich wahrlich einen besseren Start vorstellen, und Blochs Kritik führte auch zu einer Mini-Kontroverse in “The Eyrie”, der Leserbriefspalte von WT, doch letztlich erwies sich das alles als Sturm im Wasserglas; im Laufe der nächsten siebzehn Jahre sollte Bloch noch fast 70 Storys in Weird Tales veröffentlichen und war zeitweise eine der Stützen des Magazins. Und er hat eines aus der ganzen Sache gelernt: “It also taught me a valuable lesson. From that point on and to this very day I have avoided public criticism of my fellow writers, no matter how lousy and rotten their crummy efforts may be.”**
Blochs frühe WT-Storys waren stark vom Schaffen seines Mentors H.P. Lovecraft beeinflusst oder gar direkt zum Cthulhu-Mythos zu zählen, doch allmählich machte er sich nicht nur vom Schatten seines großen Vorbilds frei, sondern fand in Magazinen wie Amazing Stories, Strange Stories, Unknown, Fantastic Adventures und vielen anderen noch weitere Abnehmer für seine teils mit einem bösen Twist versehenen, teils auch humoristischen Geschichten. Als die vielleicht typischste Bloch-Story aus dieser frühen Phase seiner Karriere – und als eine seiner besten – gilt zu recht “Yours Truly – Jack the Ripper” (WT, July 1943)***, in der er sich zum ersten Mal dem Mythos um Jack the Ripper zuwandte, den er später noch häufiger thematisiert hat, u.a. in dem Roman The Night of the Ripper (1984; dt. Der Ripper (1987)) und in der Star-Trek-Episode “Wolf in the Fold”.
Bei einem Autor, der schon im ersten Jahrzehnt seiner Karriere mehr als 100 Kurzgeschichten geschrieben hat, ist es nur folgerichtig, dass seine erste Buchveröffentlichung dann auch ein Sammelband – der erste von mehr als 30 (!) – war: The Opener of the Way (1945). Blochs erster Roman The Scarf – ein Thriller – erschien 1947, gefolgt von vier weiteren Thrillern in den 50ern … und dann kam Psycho.
The Best of Robert BlochAuch nach dem Erfolg von Psycho schrieb Bloch weiter fleißig Storys – immerhin hatte er im gleichen Jahr mit “That Hell-Bound Train” (The Magazine of Fantasy & SF, September 1958) seinen ersten (und – sieht man von einem gesondert vergebenen Special Award für 50 Jahre als Profi im Jahre 1984 ab – auch einzigen) HUGO Award gewonnen – sowie gelegentlich den einen oder anderen Roman, verfasste etliche Drehbücher für Filme und TV-Produktionen und sah einen steten Strom seiner Kurzgeschichtensammlungen auf den Markt kommen, in denen zumeist altes und neues Material gemischt zu finden war.
Robert Bloch war ein ungemein vielseitiger und fleißiger Autor, der im Rahmen seiner langen, 60 Jahre währenden Karriere vor allem als Kurzgeschichten-Autor brilliert hat; von daher kann dieser Beitrag seinem Oeuvre noch nicht einmal ansatzweise gerecht werden. Seine Beiträge zum Cthulhu-Mythos – die von wenigen Ausnahmen abgesehen, zu denen man auch den erst spät entstandenen Roman Strange Eons (1978; dt. Cthulhus Rückkehr (2000)) zählen könnte, nicht zu den Glanzlichtern seines Schaffens gehören – sind in dem Band Mysteries of the Worm (1981, rev. u. erg. 1993) gesammelt. Viele, wenn auch längst nicht alle seine Storys – darunter auch die bereits im Text genannten – sind auch auf Deutsch erschienen, zum Teil in übersetzten Sammelbänden (z.B. The Living Demons (1967) als Boten des Grauens (1970), The Best of Robert Bloch (1977) gekürzt als Die besten SF-Stories von Robert Bloch (1980) oder Bloch and Bradbury (1969) als Der Besucher aus dem Dunkel (1972)°), zum Teil als Originalzusammenstellung wie etwa 15 Grusel-Stories (1964) oder Die Göttin der Weisheit und andere Stories (1967), zum Teil in Anthologien.
Neben Geschichten, die man mangels einer passenderen Bezeichung als mal phantastischen, mal psychologischen Horror bezeichnen mag, hat Bloch auch etliche SF-Stories (und den SF-Roman Sneak Preview (1971; dt. Das Regime der Psychos (1974)) geschrieben, sich an humoristischen Geschichten im Stile eines Damon Runyon oder Thorne Smith versucht, von denen drei in dem Band Dragons and Nightmares (1969; dt. Die Pension der verlorenen Seelen (1973)) enthalten sind – und er hat (was angesichts der o.e. Kontroverse auf den Seiten von Weird Tales überraschen mag°°) mit “The Dark Isle” (WT, May 1939) eine Story verfasst, die man ohne wenn und aber der Sword & Sorcery zurechnen kann. Ihre Hauptfigur ist Vincius the Reaper, ein römischer Legionär und Veteran, der zu einer römischen Truppe gehört, die die Druiden von Mona auslöschen soll, wogegen sich Letztere verständlicherweise mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln – und das sind einige – zur Wehr setzen. Die Story ist durchaus atmosphärisch und spannend, nimmt sich allerdings hinsichtlich des historischen Hintergrunds einige Freiheiten (um es wohlwollend auszudrücken). Nichtsdestotrotz beweist Bloch mit “The Dark Isle”, dass er auch Sword & Sorcery schreiben konnte – bzw. hätte schreiben können, wenn er denn mehr in dieser Richtung hätte machen wollen –, die sich vor den Versuchen vieler anderer Autoren keineswegs verstecken muss.
Außer den bereits erwähnten HUGO Awards hat Robert Bloch auch einen World Fantasy Award für sein Lebenswerk erhalten und mehrfach den Stoker Award gewonnen; seine letzten Jahre waren von seiner Krebserkrankung überschattet, doch er hat unverdrossen bis kurz vor seinem Tod am 23. September 1994 weitergeschrieben – wenn auch nicht mehr in dem Tempo wie zum Anfang seiner Karriere.

* – lustigerweise ist bei den aus tausenderlei Gründen im Sommer unter den Tisch gefallenen Autoren auch einer dabei, bei dem der Film, der nach seinem Roman gedreht wurde, bei weitem bekannter ist als das Buch.
** – in Once Around the Bloch: An Unauthorized Autobiography (1992), s. 72. Die ganze Geschichte ist ein bisschen komplexer als da oben beschrieben; wer an einer detaillierten Darstellung interessiert ist, wird hier fündig (und wirklich umfassend informiert).
*** – die deutschen Titel der im Text genannten Storys werden (falls vorhanden) bei Bedarf in einem Kommentar nachgereicht; sie in den Fließtext zu integrieren, würde das Lesen denn doch ein bisschen zu mühevoll machen.
° – dieser Band, der Geschichten von Robert Bloch und Ray Bradbury enthält, war nebenbei bemerkt meine erste Begegnung mit dem Story-Autor Robert Bloch, die mich damals schwer beeindruckt hat
°° – nun gut, gar so überraschend ist das dann auch wieder nicht, denn Bloch hatte keineswegs Howard als Autor kritisiert, sondern vor allem die Figur Conan; von Howards Solomon-Kane-Storys oder z.B. “The Valley of the Worm” war er hingegen begeistert.

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Zum 125. Geburtstag von Frans G. Bengtsson

Bibliotheka Phantastika erinnert an Frans G. Bengtsson, dessen Geburtstag sich heute zum 125. Mal jährt. Der am 04. Oktober 1894 in Tossjö in der damaligen südschwedischen Provinz Schonen geborene Frans Gunnar Bengtsson begann seine literarische Karriere in den 1920er Jahren, als er noch während seiner Studienzeit die Gedichtsammlungen Tärningkast (1923) und Legenden om Babel (1925) veröffentlichte, gefolgt von Litteratörer och militärer (1929; dt. Waffengänge (1942)), einem Band mit Essays über François Villon, Walter Scott, Joseph Conrad und Stonewall Jackson.* Nachdem Bengtsson 1930 in Philosophie promoviert hatte, verfasste er weitere Essaysammlungen und eine zweibändige Biographie Karls des XII. – Karl XII:s levnad (1935-36; dt. Karl XII. (1939)) – ehe er schließlich den Roman schrieb, der ihn über sein Heimatland hinaus bekannt machte (und der auch der Grund ist, warum er heute hier erwähnt wird) und der anfangs in zwei Bänden als Röde Orm: Sjöfarare i västerled (1941) und Röde Orm: Hemma och i österled (1945) veröffentlicht wurde.
Die Abenteuer des Röde Orm – so der Titel der 1951 erstmals vollständig erschienenen deutschen Ausgabe, die seither immer wieder neu aufgelegt wurde und zumindest ab Mitte der 70er Jahre durchgängig (!) lieferbar war und ist – schildert die Abenteuer von Orm Tosttesson, dem Sohn eines reichen schonischen Bauern, der alles andere als freiwillig an einem Raubzug des Wikingerhäuptlings Krok teilnehmen muss. Anfangs hat es der noch sehr junge Orm mit seiner Neigung zur Hypochondrie bei den rauen Gesellen nicht leicht, doch das legt sich rasch, und Orm – der wegen seines roten Barts alsbald Röde Orm genannt wird – findet in Toke nicht nur einen guten Freund, sondern auch Gefallen an seinem neuen Leben. Denn dieses Leben hält jede Menge Abenteuer für ihn bereit, führt ihn u.a. ins Kalifat von Cordoba, an den Hof des Dänenkönigs Harald Blauzahn, nach England (wo er an der Schlacht von Maldon teilnimmt) und schließlich bis ins Gebiet des heutigen Russland. Und zwischendurch wechselt er mehrfach den Glauben, heiratet, zeugt Kinder, baut eine Kirche und tut, was ein Wikinger halt so tut …
Die Abenteuer des Röde OrmDie Abenteuer des Röde Orm ist ein höchst ungewöhnlicher Roman (Bengtsson selbst nennt den Röde Orm nicht Roman, sondern “Berättelse”, was Erzählung oder Bericht bedeutet), der stilistisch an die Isländischen Heldensagas angelehnt ist und sich in der Darstellung der Figuren auf ihre Handlungen und das, was sie sagen, beschränkt, aber keine Innensichten liefert. Dessen ungeachtet gelingt es ihm überraschend gut, die Wert- und Weltvorstellungen dieser Figuren zu vermitteln, was den Roman sehr authentisch wirken lässt (auch und vor allem weil viele der besagten Wert- und Weltvorstellungen mit heutigen Sensibilitäten betrachtet mehr als nur ein wenig befremdlich wirken). Unterm Strich bleibt ein Roman, der – wenn man sich auf seine ungewöhnliche Erzählweise einlässt – ein in dieser Form selten gewordenes Leseerlebnis bietet und einen ganz eigenen Lesesog entwickelt.
Die Abenteuer des Röde Orm wurde unter dem Titel The Long Ships auch ins Englische übersetzt, und Motive daraus finden sich in dem gleichnamigen Film (der bei uns 1964 als Der Raubzug der Wikinger in die Kinos kam). Viel wichtiger ist allerdings, dass er dem Autor Runer Jonsson als Inspiration für sein Kinderbuch Vicke Viking (1963) diente, das in Deutschland als Wickie und die starken Männer (1964) auf den Markt kam und auf das nicht nur mehrere Fortsetzungen folgten, sondern das (mitsamt der Fortsetzungen) im Auftrag des ZDF unter dem gleichen Titel als 78-teilige Zeichentrickserie adaptiert wurde – und die dürfte aufgrund der häufigen Wiederholungen auch vielen jüngeren Lesern und Leserinnen ein Begriff sein.
Frans G. Bengtsson hat nach dem Röde Orm noch weitere Essays und kleinere Werke verfasst, und am 19. Dezember 1954 ist er im Alter von 60 Jahren verstorben.

* – ob der Band noch weitere Essays beinhaltet, lässt sich ohne ein entsprechendes Exemplar leider nicht sagen

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Forumos-Übersetzer empfehlen: N.K. Jemisin – Zerrissene Erde

Heute gibt es nach langer Zeit mal wieder einen Gastbeitrag aus der Rubrik Übersetzer-Empfehlung (in dem es unserer Meinung nach um den Auftakt eines der wichtigsten und faszinierendsten Fantasy-Werke der letzten Jahre geht). Die Übersetzerin Susanne Gerold ist in unserem Forum als Timpimpiri unterwegs.

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Bisher hatte ich ja das Glück, dass ich die meisten Bücher, die ich übersetzt habe, auch empfehlen konnte. Hin und wieder sind aber echte Perlen dabei, die mir zum Beispiel immer mal wieder ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Zu den echten Perlen zähle ich auch N.K. Jemisins Zerrissene Erde, auch wenn mich der Roman nie richtig zum Lächeln gebracht hat, geschweige denn zum Lachen. Es gibt einfach nichts zu lachen in dieser Welt, die ganz und gar darauf ausgerichtet ist, bestmöglich auf eine Katastrophe vorbereitet zu sein, von der jeder weiß, dass sie früher oder später kommen wird. Denn das ist die Folge eines weit in der Vergangenheit liegenden unrühmlichen Umgangs der Menschen mit der Erde, und jetzt ist Vater Erde dauerhaft sauer und macht seinen Bewohnern das Leben schwer.
Zerrissene Erde von N.K. JemisinVielleicht ist es die Parallele zu unserem eigenen Umgang mit der Welt – schließlich sind wir kräftig dabei, unsere Lebensgrundlage zu zerstören (und nicht nur unsere) – weshalb mir der Roman so gefallen hat. Oder die Tatsache, dass Jemisin sich stilistisch wohltuend vom üblichen Erzählduktus abhebt und ihre Sprache einen unglaublichen Sog entwickelt. Oder ihre Art, dass Missbrauchtwerden von Menschen oder ganzer Gruppen von Menschen mit bestimmten Kennzeichen auf eine beinahe unbarmherzig eindringliche Weise zu schildern, die die Wahrheit offen zutage treten lässt. Und Bücher, in denen tiefere Wahrheiten ausgesprochen werden, hatten schon immer einen Reiz für mich, auch wenn diese unbequem oder unangenehm sein können. Aber es sind die Bücher, die mir ein Gefühl für das Wesentliche im Leben geben, die ich sowohl beim Lesen als auch beim Übersetzen am meisten genieße. Und Jemisin macht das virtuos, behandelt anhand ihrer Figuren und ihres Plots nicht nur die Frage, wie man in einer solchen Welt leben und überleben kann, sondern, auf einer “übergeordneten” Ebene, ganz besonders die, wie die Menschlichkeit überlebt. Auch und gerade die Menschlichkeit in einem selbst.
Diesen Aspekt teilt Zerrissene Erde übrigens mit den Romanen eines anderen Autors, den ich sehr schätze, und der ebenfalls eine grausame, unbarmherzige Welt schildert, in der es dennoch immer wieder Menschlichkeit im Kleinen, im zwischenmenschlichen Bereich gibt. Und wenngleich N.K. Jemisins Zerrissene Erde (bzw. die ganze Broken Earth Trilogy) ansonsten wenig mit Steven Eriksons Spiel der Götter gemein haben mag – in genau diesem, für mich sehr wichtigen Punkt kommen sie sich sehr nahe und üben eine vergleichbare Faszination aus.

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Zum 65. Geburstag von Stan Sakai

Wie aufmerksame Leser und Leserinnen bemerken werden, stecken wir noch ein bisschen in einer Zeitblase fest – doch davon wollen wir es uns nicht nehmen lassen, auf interessante und uns auf die eine oder andere Art wichtige Persönlichkeiten des Genres und seiner Randgebiete mit einem kleinen Artikel hinzuweisen. Deshalb gratuliert Bibliotheka Phantastika auch etwas verspätet Stan Sakai, der kürzlich seinen 65. Geburtstag feiern konnte.
Usagi Yojimbo Saga 6Der am 25.05.1953 in Kyoto, Japan, geborene Stan Masahiko Sakai ist ein Ausnahme-Comic-Künstler, der sich seit fast 35 Jahren und beinahe nonstop seiner “creator-owned” (also völlig der Kontrolle des Urhebers unterliegenden) Comic-Reihe widmet: Usagi Yojimbo, der Saga um die Abenteuer des Ronin Miyamoto Usagi, der seinem historischen Vorbild Miyamoto Musashi zwar in vielerlei Hinsicht gleicht, aber als Hase in einem fast ausschließlich von anthropomorphisierten Tieren bewohnten Japan auch ungleich längere Ohren hat (die er meist im Samurai-Haarknoten trägt).

Usagi war aber nicht Sakais erster Hase auf Abenteuern – vorher gab es noch The Adventures of Nilson Groundthumper and Hermy mit zwei Langohren, die im europäischen Mittelalter unterwegs waren und erstmals 1984 in Albedo Anthropomorphics #1 erschienen.
Aber schon 1984 debütierte auch Usagi Yojimbo in einer Nilson Groundthumper and Hermy-Story, machte sich aber bald selbständig und wurde zu Sakais Lebenswerk. Der erste Sammelband The Ronin erschien 1987, und es sollten noch viele weitere folgen, denn bis heute ist Usagi auf sage und schreibe 165 Hefte und etliche Zusatzgeschichten angewachsen, darunter Space Usagi (1998), das einen fernen Nachfahren von Usagi in einem intergalaktischen Reich in den Mittelpunkt stellt.
Dass es dabei nicht langweilig wird, liegt zum Teil sicher an der detaillierten Recherche von Stan Sakai, der die Kulturgeschichte, Mythen und Popkultur Japans in seine Comics einfließen lässt, verschiedenste Blickwinkel einnimmt und mal episch große und mal alltäglich kleine Geschichten erzählt, die Usagi auf seiner “warrior pilgrimage” erlebt.
Usagi Yojimbo 3Während viele Abenteuer eher Kurzgeschichten-Charakter haben und in sich geschlossen sind, ergibt sich im Laufe der Zeit doch ein Mosaik aus wiederkehrenden Figuren und großen Entwicklungen: Die augenzwinkernde Freundschaft zwischen Usagi und dem Kopfgeldjäger Gen, die meist damit endet, dass einer dem anderen die Belohnung wegschnappt, die Verbindung zur Samurai-Kriegerin Tomoe, die trotz aller Zuneigung zu Usagi einen anderen Weg einschlägt als er, und die Erzfeindschaft mit dem Dämon Jei, der den Hasen immer wieder heimsucht. Ob Freunde oder Gegner, es sind meist vielschichtige und alles andere als schwarz-weiß gezeichnete Figuren, die Geschichten wie die epische Suche nach dem legendären Schwert Grascutter oder die kriminalistischen Ermittlungen mit Inspector Ishida bevölkern – und man kann sich darauf verlassen, dass sich irgendwo im Bild auch immer ein paar Tokage (Echsen) tummeln, die die Fauna von Usagis Japan stellen.

Da Usagi bei verschiedenen Verlagen erschienen ist, gibt es auch eine verwirrende Vielzahl von Sammelbänden und Sonderausgaben. Die hier rezensierte Sammelausgabe der ersten sechs Bände soll bald neu aufgelegt werden, ansonsten sollte die derzeit beste Ausgabe die Usagi Yojimbo Saga sein, in der je drei Bände im größeren Format zusammengefasst sind. Und nicht zuletzt gibt es nach einer jahrelang etwas zerfahrenen deutschen Ausgabe auch endlich eine Übersetzung der Sammelbände in der Reihenfolge des Originals, beginnend mit Der Ronin (2017).

Space UsagiStan Sakai, der lange auf Hawaii lebte und inzwischen in Kalifornien residiert, ist aber nicht nur seinem Hasen treu ergeben, sondern auch seit Jahren Letterer bei Sergio Aragonez’ Groo the Wanderer (auf Deutsch als Groo erschienen). Außerdem zeichnete er für Stupid, Stupid Rat Tails (2000), dem Prequel zu Jeff Smiths Bone, und die Comic-Adaption der legendären 47 Ronin (2013), die im feudalen Japan diesmal auch tatsächlich Menschen zeigt und nichts mit Usagis tierischem Japan zu tun hat.

Wir hoffen, dass es noch viele weitere Usagi-Geschichten geben wird, und verlinken zur Feier des Tages ein Lieblingsbild von Stan Sakais Instagram-Account.

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Zum 60. Geburtstag von Irene Fleiss

Bibliotheka Phantastika erinnert an Irene Fleiss, die am vergangenen Mittwoch 60 Jahre alt geworden wäre. Mit diesem Namen können vermutlich nur diejenigen etwas anfangen, die entweder schon sehr lange Fantasy lesen (auch solche, die nicht in den entsprechenden Reihen der großen Publikumsverlage erschienen ist) oder sich für Genderthemen und Matriachats-Forschung interessieren, denn Letzteres war das Hauptbetätigungsfeld der am 16. Mai 1958 wahrscheinlich in Österreich* geborenen Irene Fleiss, und man kann davon ausgehen, dass das zweibändige Sachbuch Als alle Menschen Schwestern waren (2006/2007), in dem sie ihr ganzes Wissen über dieses Gebiet zusammengefasst hat und das in der feministischen Szene sehr positiv aufgenommen wurde, nicht zuletzt für sie selbst ihr wichtigstes und bedeutendstes Werk war.
Doch der Grund für diesen Beitrag ist natürlich nicht besagtes Sachbuch und es sind auch nicht die Romane und Kurzgeschichtensammlungen, die sie Anfang der 00er Jahre als books on demand veröffentlicht hat, sondern ein “richtiger” Fantasyroman, den sie bereits viel früher geschrieben hat und der 1984 unter dem Titel Die Leibwächterin und der Magier abseits der bekannten Genrereihen im Medea Frauenverlag erschienen ist. Es scheint, als hätten damals einige Frauenverlage die SF und Fantasy für sich entdeckt, und so brachte vor allem der Medea Frauenverlag innerhalb einer relativ kurzen Zeit mehrere Romane und Kurzgeschichtenbände von feministischen Autorinnen (darunter international bekannten wie Joanna Russ, aber auch deutschsprachigen**) auf den Markt, die das Genre teilweise um sehr interessante Facetten bereicherten.***
Irene Fleiss: Die Leibwächterin und der MagierUnd einer dieser Romane war eben Die Leibwächterin und der Magier, der die Geschichte der Leibwächterin Aleme erzählt, die den Magier Calar auf einer Reise vom tiefsten Süden des Kontinents bis hoch in den Norden beschützen soll. Das erweist sich allerdings als schwieriger als gedacht, denn die beiden Reisenden werden unterwegs mehrfach überfallen und angegriffen – anscheinend hat sich der eher naiv wirkende Calar mächtige Feinde gemacht. Immerhin wird Aleme für ihren Auftrag gut bezahlt, und auf der ereignisreichen Reise lernen sich die beiden so unterschiedlichen Protagonisten immer besser kennen, entwickeln Vertrauen zueinander … und schließlich auch noch andere Gefühle …
Was an der Geschichte, die Aleme als Ich-Erzählerin erzählt, als Erstes auffällt, ist der – auch und gerade in Anbetracht des Umfelds, in dem der Roman erschienen ist° – ungewöhnlich versöhnliche Grundton, der sie durchzieht. Sowohl Aleme als auch Calar sind sympathische Figuren, die sich ebenso glaubwürdig entwickeln wie die Beziehung zwischen den beiden. Und in einer Hinsicht hat Aleme – die man durchaus als Vorläuferin vieler tougher Frauenfiguren betrachten kann, die heutzutage vor allem die YA-Fantasy bevölkern – ihren Nachfolgerinnen etwas voraus, denn sie bleibt die starke Frau, die sie vorher war, und entwickelt sich nicht schlagartig zum hilflosen Mädchen zurück, das beschützt und behütet werden muss, nur weil sie ihre große Liebe gefunden hat.
Wobei es sich bei Die Leibwächterin und der Magier keineswegs um einen Liebesroman handelt; denn auch wenn die obigen Zeilen vielleicht diesen Eindruck erwecken, ist es in erster Linie ein abenteuerlicher Fantasyroman. Das Worldbuilding ist zwar nicht allzu “tief” (was bei etwas über 200 Seiten Umfang nicht verwunderlich ist), wartet aber mit originellen Ideen wie z.B. den Schienenseglern auf, und die gelegentlich eingebauten Bezüge auf unsere Welt nähren die Vermutung, dass wir es hier mit postapokalyptischer Fantasy zu tun haben, deren Figuren interessanter und glaubwürdiger sind als die vieler anderer Werke. Ich weiß nicht, wie der Roman damals in feministischen Kreisen aufgenommen wurde, aber an der eigentlichen Fantasyleserschaft dürfte er ziemlich vorbeigegangen sein. Und letztlich ist er wohl nur eine marginale Fußnote in der Geschichte der Fantasy in Deutschland – aber eine trotz gerechtfertigter Kritik an mangelnden Hintergründen und einer vielleicht etwas zu simplen Auflösung überaus sympathische.
Außer diesem Roman hat Irene Fleiss in den 80er Jahren anscheinend noch einige Erzählungen und Kurzgeschichten geschrieben – eine davon ist in der von Karin Ivancics herausgegebenen Anthologie Der Riß im Himmel (1989) erschienen°° –, aber erst in den 00er-Jahren hat es wieder eigenständige Veröffentlichungen von ihr gegeben, die – wie eingangs erwähnt – alle als book on demand erschienen sind: Grenzenlos. Kurzgeschichten aus dem Patriarchat (2002), Der erpresste Mann (2002; nicht phantastisch), Tod eines guten Deutschen (2003) und Erinnerte Geschichten. Phantastische Erzählungen (2005). Kurz darauf folgte das o.e. Sachbuch – und am 04. April 2008 ist sie im Alter von 49 Jahren gestorben, gerade einmal zwei Wochen, nachdem bei ihr Bauchspeicheldrüsenkrebs diagnostiziert worden war.

* – abgesehen von Fleiss’ Geburts- und Todestag sind kaum biografische Daten zu finden
** – wobei pikanterweise eine der deutschsprachigen “Autorinnen” gar keine war – aber das wusste zum damaligen Zeitpunkt vermutlich noch niemand
*** – dieser nicht allzu langlebige Trend wäre theoretisch durchaus mal einen eigenen Beitrag wert, bei dem allerdings viel Spekulation dabei wäre, denn außer den Veröffentlichungsdaten der Bücher gibt es wenig, an dem man sich festhalten kann; we’ll see …
° – in den meisten anderen Werken, die damals bei Medea und ähnlichen Verlagen erschienen sind, kommen Männer entweder überhaupt nicht vor, oder sie sind eher Monstren bzw. “Manntiere” als Menschen
°° – was Irene Fleiss’ nicht eigenständige Veröffentlichungen angeht, sind bibliografische Daten kaum bzw. nicht vorhanden

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Zum 120. Geburtstag von Vera Chapman

Bibliotheka Phantastika erinnert an Vera Chapman, deren Geburtstag sich vor zehn Tagen zum 120. Mal gejährt hat.* Die am 08. Mai 1898 als Vera Ivy May Fogerty in Christchurch in der Nähe von Bournemouth an der englischen Südküste geborene Chapman verbrachte einen Teil ihrer Jugend in Südafrika und war nach ihrer Rückkehr nach England eine der ersten Frauen, die sich am Lady-Margaret-Hall-College – dem erst wenige Jahre zuvor gegründeten ersten reinen Frauen-College der University of Oxford – immatrikulierte. Nach dem Abschluss ihres Studiums heiratete sie 1924 den Vikar Charles Sydney Chapman, dem sie den Nachnamen verdankt, unter dem sie mehr als 50 Jahre später als Autorin bekannt werden sollte. Diese Ehe tat allerdings ihrem lebenslangen Interesse für das Heidentum bzw. den Paganismus keinen Abbruch, und sie war viele Jahre lang Mitglied des ADO (Ancient Druid Order), des ältesten druidischen Ordens im Vereinigten Königreich.
Viel interessanter als all diese Details aus ihrem Leben ist aber wahrscheinlich die Tatsache, dass Vera Chapman 1969 die britische Tolkien Society gegründet hat – nicht zuletzt, weil sie befürchtet hat, dass der Kult, der vor allem um The Lord of the Rings entstanden war, eine mehr wissenschaftlich orientierte Auseinandersetzung mit den Werken Tolkiens verhindern könnte und sie dem durch die Gründung der Tolkien Society entgegenwirken wollte.
Vera Chapman: The Three DamoselsDer Erfolg von The Lord of the Rings und der daraus (nicht nur, aber vor allem) resultierende Fantasy-Boom hatten allerdings noch einen ganz anderen Effekt, denn durch das gestiegene Interesse an Fantasy bzw. die Etablierung der Fantasy als eigenständiges Genre ergab sich für Vera Chapman plötzlich die Möglichkeit, die Literatur zu schreiben, die sie schon immer hatte schreiben wollen, und so veröffentlichte sie im Alter von 77 Jahren (!) ihren ersten Roman The Green Knight (1975), auf den mit The King’s Damosel (1975) und King Arthur’s Daughter (1976) rasch zwei weitere folgten; alle drei zusammen bilden die Trilogie The Three Damosels (auch als Sammelband, 1978).
Im Mittelpunkt der drei zum Artus-Mythos zu zählenden bzw. in dessen Umfeld angesiedelten Romane stehen Frauen, doch bei ihnen handelt es nicht etwa um die “üblichen Verdächtigen” wie Guinevre oder Morgan Le Fay (auch wenn Letztere vor allem in The Green Knight eine wichtige Rolle spielt), die man aus anderen Versionen der Sage kennt, sondern um solche, die bislang am Rande des Geschehens angesiedelt waren oder von Chapman erfunden wurden: Im ersten Band – einer sehr freien “Nachdichtung” der Ritterromanze Sir Gawain and the Green Knight aus dem späten 14. Jahrhundert – muss sich Vivian, die Nichte Morgan Le Fays, mit den Ränken ihrer Tante herumschlagen, im zweiten wird die junge Lynette erst zu Artus’ Botin und begibt sich dann auf die Suche nach dem Heiligen Gral, und im dritten versucht Artus’ Tochter Ursulet das Reich und die Ideale ihres Vaters zu bewahren.
Die Fokussierung auf weibliche Hauptfiguren und die Art und Weise, wie Vera Chapman diese Figuren agieren lässt (oder auch, welche Hintergrundgeschichte sie ihnen mitgibt), machen The Three Damosels zum ersten aus einem feministischen Blickwinkel geschriebenen Bestandteil des Artus-Mythos – und das immerhin acht bzw. sieben Jahre bevor Marion Zimmer Bradley mit The Mists of Avalon (aka Die Nebel von Avalon) zu Weltruhm gelangte.** Dies und die Tatsache, dass das sehr magische, von allerlei phantastischen Kreaturen bevölkerte Britannien dieser Trilogie einen starken Kontrast zu vielen neueren, zumeist um “Realismus” (was auch immer das in diesem Zusammenhang heißen mag) bemühten Versionen des Mythos bildet, machen die drei vergleichsweise schmalen Bändchen für alle, die sich für den Sagenkreis um König Artus interessieren, immer noch lesenswert.
Vera Chapman: Die Rückkehr des LichtsThe Three Damosels ist auch auf Deutsch erschienen, und das sogar in zwei unterschiedlichen Übersetzungen: zuerst als Die drei Demoiselles (Einzeltitel: Der grüne Ritter, Die Rückkehr des Lichts, König Artus’ Tocher (alle 1984) in Heynes auf märchenhafte bzw. YA-Fantasy ausgerichteter Subreihe Phantasia, und neu übersetzt als Die Braut des grünen Ritters, Des Königs dunkle Botin und König Artus’ Tochter (alle 2001) bei dtv in der Allgemeinen Reihe.
Vera Chapmans sonstige Werke – zu denen u.a. Blaedud the Birdman (1978; eine in die keltische Sagenwelt verlegte Adaption bzw. Variation des Ikarus-Mythos), Miranty and the Alchemist (1983; ein Kinderbuch) und The Notorious Abbess (1993; eine Sammlung von Kurzgeschichten um die zur Zeit der Kreuzzüge agierende, in vielerlei Hinsicht ungewöhnliche Äbtissin Hodierna) zählen – wurden bislang nicht ins Deutsche übertragen. Eine Ausnahme bildet die ursprünglich in der Anthologie Fantastic Imagination II (1978) enthaltene und u.a. in der Asimov/Greenberg/Waugh-Anthologie Cosmic Knights (1984) nachgedruckte Story “Crusader Damosel”, die unter dem Titel “Die Kreuzrittermaid” in Märchenwelt der Fantasy (1987), einem “Zusammenschnitt” aus zwei Asimov/Greenberg/Waugh-Anthologien, enthalten ist.
Vera Chapman war bis ins hohe Alter schriftstellerisch aktiv, so dass ihr letzter, wiederum im Artus-Sagenkreis angesiedelter Roman The Enchantresses erst 1998 und somit zwei Jahre nach ihrem Tod am 14. Mai 1996 erschienen ist.

* – all denen, die sich jetzt Sorgen machen, weil wir schon wieder mit verspäteten Beiträgen anfangen, sei gesagt, dass die Verspätung dieses Mal Absicht ist (nun gut – sie ist etwas größer geworden als geplant 😉 ); da sich die für uns relevanten bzw. interessanten Jubiläen fast alle in der ersten Monatshälfte ballen, haben wir beschlossen, das Ganze ein bisschen zu entzerren – und dass die betreffenden Autorinnen und Autoren auch alle schon seit mehreren oder gar vielen Jahren verstorben sind, hat die Entscheidung noch einmal deutlich leichter gemacht.
** – über Marion Zimmer Bradley ließe sich – auch und vor allem im Licht der Erkenntnisse der letzten Jahre – viel sagen, doch das gehört nicht hierher und soll dem Beitrag vorbehalten bleiben, der (vielleicht) zu MZBs nächstem rundem Geburtstag erscheinen wird.

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Blogpause beendet!

Es war nie geplant und wurde deshalb auch nicht angekündigt, aber mit Blick auf das Datum des letzten Postings lässt es sich nicht leugnen, dass dieser Blog ziemlich lange pausiert hat. Die Gründe dafür sind vielfältig, lassen sich aber auf einen einfachen Nenner bringen: Wir hatten beide letztes Jahr so viel mit anderen Aufgaben und Projekten zu tun, dass der Blog schlicht hinten runtergefallen ist. Und irgendwann war dann die Pause schon zu groß, um einfach wieder zur Tagesordnung überzugehen und weiterzumachen.

Andererseits bietet so eine Blogpause ja auch immer die Gelegenheit, sich Gedanken darüber zu machen, wie es weitergehen soll – und ob es überhaupt weitergehen soll. Die zweite Frage haben wir für uns ziemlich schnell beantwortet, und was die erste angeht, haben wir durchaus ein paar Ideen, die aber noch ein bisschen reifen müssen (oder deren Umsetzung momentan noch zu zeitaufwendig ist).
Also – es wird hier wieder weitergehen, anfangs allerdings noch so ziemlich auf die gleiche Weise wie zuvor, was bedeutet, dass es zunächst hauptsächlich weitere – von uns intern so genannte – “Jubitexte” zu “runden” Geburts- oder Todestagen geben wird, in denen es sowohl um bekanntere wie auch um bereits halb oder ganz vergessene Fantasy- und Phantastik-Autoren und -Autorinnen bzw. deren Werk geht.
Mittelfristig soll und wird sich das Spektrum dann erweitern, denn wir denken beide, dass es zur Fantasy und ihren Nachbar- und Randbereichen noch Empfehlungen und Überlegungen gibt, die wir gerne auf gewohntem Zartgrün festhalten wollen – und die dem einen oder der anderen in unserer Leserschaft vielleicht Lesestoff, Nachdenkstoff, Diskussionsstoff oder einfach gute, alte Unterhaltung bieten.

Außerdem steht für Blog und Forum auch die neue Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) auf der To-Do-Liste. Dadurch wird sich zwangsläufig einiges ändern und hoffentlich alles trotzdem weiterhin funktionieren, ohne dass wir unerfreuliche Anwaltspost kriegen – bitte seht uns nach, falls demnächst etwas nicht rund läuft oder dann in Kürze die Banner aufploppen, mit denen wir über Datenschutz & Co aufklären (müssen).

Aber auch wenn es holpert und eher gemächlich anläuft: Wir lesen uns!

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