Forumos-Übersetzer empfehlen: Tochter der Schwarzen Stadt

Torsten Fink begleitet mich inzwischen schon seit ein paar Jahren – ich lektoriere ihn seit seinem zweiten Fantasy-Roman und konnte miterleben, wie er vom Jugendbuch langsam zu erwachseneren Stoffen gewandert ist und von Geschichte zu Geschichte mehr zu erzählen hatte. Von seinen eher an ein jüngeres Publikum gerichteten Romanen hat mir Drachensturm am besten gefallen (verkürzt gesagt „Conquistadoren mit Drachen“, falls jemand einen Tipp fürs bisherige Oeuvre möchte).
Mit Tochter der Schwarzen Stadt (ISBN 978-3-442-26980-8), dem zweiten Roman, der meiner Lesart nach voll im Erwachsenenbereich angekommen ist, steigt man relativ spät in eine Welt ein, die vorher bereits in einer noch etwas jugendbuchigeren Trilogie (Prinz der Schatten) und einem Einzelroman (Prinz der Rache) Schauplatz des Geschehens war. Beim „Geschehen“ handelt es sich in diesen lose zusammenhängenden Abenteuer- und Intrigengeschichten um die politische Gesamtsituation am Goldenen Meer, einer zentralen, mehr oder weniger geschützten See, in deren Anrainerstaaten sich sowohl der hanse-artige, militärisch formidable Seebund als auch das orientalische Oramar um Einfluss und Herrschaft streiten. In den vier vorausgehenden Büchern wurde dieses Gefüge bereits schwer erschüttert, aber man kann Tochter der Schwarzen Stadt durchaus einzeln lesen – mit Kenntnis der Vorgeschichte gewinnt die Welt an Tiefe.

Tochter der Schwarzen Stadt von Torsten FinkDie Großereignisse geben aber „nur“ den Hintergrund für eine neue Geschichte einer neuen Figur ab – Alena, eine schlitzohrige Kriminelle, die günstigerweise eine frappierende Ähnlichkeit mit Caisa aufweist, der einzigen Tochter des Herrschers einer strategisch wichtigen Inselnation, Ziel etlicher Attentate und Heiratsanträge. Es folgt ein Doppelgänger- und Intrigenspiel, in dem aus der Straßengöre eine richtige Prinzessin werden muss – und man sich ständig fragt, wer eigentlich mit wem spielt, und ob das Schicksal auch mit von der Partie ist. Denn Alena ist nicht so naiv, wie der Berater des Herzogs sie gerne hätte, und Torsten Fink wirft im Laufe des sich aufschaukelnden Hin und Hers nebenbei auch einen ironischen Blick auf die typische Prinzessinnengeschichte mit dem Warten auf den Märchenprinzen und allem drum und dran.

Man verrät vermutlich nicht zu viel, wenn man eine Warnung für Romantiker ausgibt, denn so läuft’s nicht. Torsten Fink bringt seine Figuren zwar sehr menschlich und warm aufs Papier, aber die Welt des Goldenen Meeres ist ein zynischer, kriegerischer Ort, an dem Geld und Macht alles ist und diejenigen, die beides besitzen, wenn nicht zur Grausamkeit, dann doch zu einer gewissen Sorglosigkeit und auf jeden Fall zu Egoismus neigen.
Es gibt viele Parteien in Tochter der Schwarzen Stadt, und Sympathien sind dünn gesät, so dass das Straßenmädchen am Ende als die integerste Figur dasteht. Und wie schon in den Vorgängern glänzt Torsten Fink durch starke Nebenfiguren (an die man allerdings nicht zwingend sein Herz hängen sollte … denn am Goldenen Meer wird es meistens verlustreich, wenn die Intrigen in Auseinandersetzungen überkochen). Besonders auf einer schroffen Klosterinsel, auf der ein Teil der Handlung stattfindet, spielt sich auf Charakterebene viel ab. Außerdem trifft man alte Bekannte aus den vorausgehenden Romanen wieder, deren Geschichten und Einflussnahme auf die Welt sich vertiefen.

Auch das Worldbuilding rund um Länder und Völker des Goldenen Meeres wird in jedem Roman erweitert. Es ist eine etwas andere Fantasywelt, die sehr authentisch wirkt, ob an Fürstenhöfen oder in Hafenkneipen: Mit ihren oft wirtschaftlich motivierten Konflikten und dem sehr breiten Unterbau wirkt sie meist viel historischer inspiriert als der Genre-Standard. Selbst mit dem Funken Magie, der am Goldenen Meer durchaus existiert, scheint der Stoff wie eine Fantasy, die sehr viel aus für die hiesige Leserschaft vertrauten Motiven zieht, irgendwo zwischen Karl May und Otfried Preußler (was sich alles übrigens auch in der bedachten Wahl von Eigennamen und Bezeichnungen widerspiegelt).
Und wenn die gewitzte Alena diese Bühne betritt, um einiges aufzuwirbeln, kann man sich das durchaus mal anschauen.

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