Zum 65. Geburtstag von Matthew Hughes

Bibliotheka Phantastika gratuliert Matthew Hughes, der heute 65 Jahre alt wird. Den meisten unserer Leser und Leserinnen wird dieser Name unbekannt sein, denn von dem am 27. Mai 1949 in Liverpool, England, geborenen Matthew Hughes, der bereits im Alter von fünf Jahren mit seiner Familie nach Kanada übersiedelte, wurde bislang weder ein Roman noch eine Story ins Deutsche übersetzt. Was bedauerlich ist, da die deutschsprachige Leserschaft auf diese Weise niemals die Bekanntschaft mit den Werken eines originellen SF- und Fantasy-Autors machen wird, der im angloamerikanischen Sprachraum gerne als legitimer Nachfolger von Jack Vance bezeichnet wird.
Hughes hat nach eigener Aussage sein ganzes Leben lang vom Schreiben gelebt, anfangs als Journalist, dann als Mitglied des Stabs der Redenschreiber für die kanadischen Justiz- und Umweltminister und schließlich als freiberuflicher Redenschreiber für Firmen und politische Organisationen in British Columbia. In den 90er Jahren begann er dann, Krimis und SF (bzw. Fantasy – so ganz eindeutig lässt sich das bei ihm nicht sagen) zu schreiben, wobei er – von einer Ausnahme ganz zu Beginn seiner literarischen Karriere abgesehen – die Langform seines Namens für SF&F benutzt (die den Löwenanteil seines Schaffens ausmachen), während er seine Krimis (und einen Mainstream-Roman) als Matt Hughes veröffentlicht und als Hugh Matthews in fremden Universen schreibt.
Gleich sein erster phantastischer Roman Fools Errant (1994, noch unter dem Autorennamen Matt Hughes) bildet den Auftakt einer Reihe von Romanen und Erzählungen, die vor einem gemeinsamen Hintergrund – dem Archonate Universe – spielen, sich dabei aber mehrerer verschiedener Protagonisten bedienen. In Fools Errant (2001 in den USA erneut veröffentlicht – dieses Mal unter Matthew Hughes) und dessen Fortsetzung Fool Me Twice (2001) spielt Filidor Vesh die Hauptrolle, ein Neffe des Archon von Old Earth, der in einer fernen Zukunft – einer Zukunft, die so fern ist, dass sie das letzte wissenschaftliche Zeitalter ist, in dem bereits die Magie des kommenden, magischen Zeitalters heraufdämmert (das dann mehr oder weniger Jack Vances Dying Earth entsprechen wird) – ein recht entspanntes Leben als nichtsnutziger Playboy führt, bis ein Auftrag seines Onkels ihn zwingt, die Hauptstadt mit all ihren Annehmlichkeiten zu verlassen und in Begleitung des Zwergs Gaskarth in reichlich rückständige Ecken der Welt zu reisen. Natürlich ist Filidor Vesh alles andere als bereit für die Abenteuer, die auf ihn warten, doch er wächst allmählich an seinen Aufgaben, was die gesamte Sequenz – die unter dem Titel Gullible’s Travels (2001) auch als Sammelband erschienen ist – nicht nur zu einer Hommage an Jack Vance, sondern auch zu einem Entwicklungsroman macht. Und sie zeigt bereits einen Autor mit großem Potential, auch wenn Hughes dieses Potential vor allem im ersten, allzu episodenhaft erzählten Band noch nicht ganz nutzen konnte.
Letzteres sollte sich allerdings mit den Auftritten von Henghis Hapthorn – die dieser ab März 2004 im Magazine of Fantasy and Science Fiction erlebte – unübersehbar ändern. Henghis Hapthorn ist ein “Discriminator”, ein Ermittler, der über einen ähnlich messerscharfen deduktiven Verstand verfügt wie sein (vermutliches) Vorbild Sherlock Holmes (und auch ein paar von dessen weniger angenehmen Eigenheiten besitzt). Hapthorns Tragik ist, dass er, ein Mann der Wissenschaft, dem die ratio über alles geht, in einem Zeitalter lebt, das immer “magischer” und damit unwissenschaftlicher wird. Das hat auch für ihn selbst weitgehende Konsequenzen, denn in einem seiner Fälle wird aus seinem “Integrator” (seinem Computer) eine Art reichlich vorlauter persönlicher Dämon, und der intuitive Teil von Hapthorns Persönlichkeit spaltet sich von The Gist Hunter von Matthew Hughes seinem restlichen Verstand ab und teilt sich nun als vollständige Persönlichkeit mit ihm den Körper. Nachdem Henghis Hapthorn in sechs Stories seine ersten Fälle gelöst hatte (die – zusammen mit anderen Geschichten – in The Gist Hunter and Other Stories (2005) gesammelt erschienen sind), durfte er in den Romanen Majestrum (2006), The Spiral Labyrinth (2007) und Hespira (2010) weitere Abenteuer – und weitere persönliche Veränderungen – überstehen. Die Henghis-Hapthorn-Abenteuer sind in ihrer Gesamtheit vielleicht die gelungensten Arbeiten des gesamten Archonate Universe, weil in ihnen die Mischung aus spannenden Inhalten, einer spröden, nicht unbedingt so richtig liebenswerten Hauptfigur und Hughes’ immer leicht humoristischem Erzählduktus am besten funktioniert.
Mit Guth Bandar betritt in Black Brillion (2004) ein weiterer wichtiger Akteur die Bühne des Archonate Universe, auch wenn er in diesem Roman nicht die Hauptrolle spielt. Bandar ist ein “Nöonaut”, der “the Commons”, die Manifestation des kollektiven Unterbewusstseins der Menschheit, betreten kann. Über diese Begabung verfügt auch Baro Harkless, ein junger “Scrutinizer” oder “Scroot” (sprich: Polizist) und die eigentliche Hauptfigur des Romans. Er soll gemeinsam mit dem ehemaligen Betrüger Luff Imbry (der seinerseits die Hauptfigur in einem Roman und mehreren Stories ist) einen anderen Betrüger namens Horslan Gebbling – einen ehemaligen Partner Imbrys – dingfest machen und greift dabei auf die Manifestation des kollektiven Unterbewusstseins zurück, was wiederum Guth Bandar auf den Plan ruft, der nur zu genau weiß, welche Gefahren in “the Commons” drohen. Der Plot, bei dem aus einem gewöhnlichen Kriminalfall alsbald eine Bedrohung von ganz Old Earth wird, ist ganz nett, tritt aber hinter der Interaktion der sehr unterschiedlichen Akteure zurück.
Black Brillion von Matthew HughesIn The Commons (2007) hat Guth Bandar dann seinen großen Soloauftritt. Der aus einer Reihe von Kurzgeschichten entstandene Roman – der vermutlich aus diesem Grund wieder recht episodenhaft ist – erzählt Teile von Guth Bandars Lebensgeschichte und einige seiner Abenteuer im Reich des kollektiven Unterbewusstseins (mit Überschneidungen zu Black Brillion – wobei das Ganze dieses Mal aus Bandars Sicht geschildert wird). Außerdem wartet The Commons mit einigen der absurdesten Szenen und Sequenzen des ganzen Archonate Universe auf, die für sich betrachtet eine Menge Spaß machen, auch wenn Guth Bandar als Hauptfigur ein bisschen langweiliger als z.B. Henghis Hapthorn ist.
Während die bisherigen Romane ihren Ausgangspunkt alle auf Old Earth hatten, beginnt Template (2008) auf Thrais, einer Welt, auf der buchstäblich alles und jeder käuflich ist. Conn Labro ist ein professioneller und überaus erfolgreicher Duellant – und ein Schuldknecht. Als sein Besitzer getötet wird, soll Labro an ein außerweltliches Konsortium verkauft werden, ein Schicksal, dem er nur entgeht, weil ihm ein ehemaliger Spielpartner, der ebenfalls ermordet wurde, genug Geld hinterlassen hat, um sich freizukaufen. Außerdem erbt er noch einen Chip, hinter dem die Mörder her zu sein scheinen, was wiederum Conn Labro dazu veranlasst, sich auf die Jagd nach den Hintergründen der ganzen Geschichte zu machen, selbst wenn das bedeutet, dass er seine Heimatwelt dafür verlassen muss. Begleitet von Jenore Mordene, einer Frau von Old Earth – oder genauer: von einem Archipel, auf dem kein Geld existiert – reist Labro durch das Archonate und gelangt auf Welten, deren Kulturen ihm vollkommen fremd sind. Template ist ein rundum gelungener Roman, den so ähnlich auch Jack Vance verfasst haben könnte.
In The Other (2011) hat dann schließlich noch der Schwindler und Trickbetrüger Luff Imbry seinen Soloauftritt, dem darin einerseits so übel mitgespielt wird, dass man eigentlich Mitleid mit ihm haben muss, der aber andererseits so viel auf dem Kerbholz hat, dass das nicht ganz leicht fällt. Imbrys Ambivalenz macht ihn zu einer schwer fassbaren Figur, deren Abenteuer – es gibt noch einen von Matthew Hughes selbst publizierten Band mit Kurzgeschichten unter dem Titel The Meaning of Luff and Other Stories (2013) – nichtsdestotrotz lesenswert sind.
Abgesehen von seinen Romanen und Geschichten aus dem Archonate Universe hat Matthew Hughes noch einen Wolverine-Roman mit dem Titel Lifeblood (2007) und einen Beitrag zu den Pathfinder Tales (Song of the Serpent (2012), beide als Hugh Matthews) verfasst; Letzterer, in dessen Mittelpunkt der Dieb Krunzle the Quick (aka Krunzle the Incorrigible oder auch Krunzle the Corruptible) steht, der nach einem missglückten Diebstahlversuch mit einer magischen Schlange um den Hals die mit einem Soldaten durchgebrannte Tochter des Kaufmanns zurückholen soll, den er ursprünglich bestehlen wollte, ist eine Jack-Vance-Hommage erster Güte, die allen Fans von Cugel the Clever sehr zu empfehlen ist.
Schließlich wäre noch die aus den Einzelbänden The Damned Busters (2011), Costume Not Included (2012) und Hell to Pay (2013) bestehende Trilogie To Hell and Back zu erwähnen, in der es auf gewohnt humoristische Weise um Superhelden geht.
Obwohl seine Romane und Kurzgeschichten von Kritikern (und natürlich auch seinen Lesern) hochgelobt werden und er vollkommen zu recht als der legitime Nachfolger von Jack Vance bezeichnet wird, ist Matthew Hughes auch im angloamerikanischen Sprachraum nie der große Erfolg beschieden gewesen. Den Band mit Luff-Imbry-Geschichten musste er ebenso selbst publizieren, wie einen Band mit sämtlichen Henghis-Hapthorne-Geschichten (9 Tales of Henghis Hapthorn (2013)), und um weiter schreiben zu können, hat er bereits seit einiger Zeit einen Nebenjob als unbezahlter Housesitter. Auf Tantiemen aus Deutschland konnte er bis jetzt auch noch nicht hoffen, da – wie bereits erwähnt – nicht eine seiner Geschichten, geschweige denn einer seiner Romane übersetzt wurde. Was in beiderlei Hinsicht mehr als schade ist.

2 Kommentare zu Zum 65. Geburtstag von Matthew Hughes

  1. Timpimpiri sagt:

    Hätte ich nur mehr Zeit! Der Autor klingt hochspannend und landet virutellerweise schon mal auf meinem SUB.

  2. gero sagt:

    Das ist ein hochinteressanter Autor, den man auch mit ein paar Kurzgeschichten und Erzählungen antesten kann. Das löst natürlich das Zeitproblem an sich nicht – aber wer hat schon keine Zeitprobleme? 😉

    Dehalb werden wir alle immer mal wieder mit Frank Zappa sagen: “So many books, so little time.”

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