Zum Gedenken an Manly Wade Wellman

Bibliotheka Phantastika erinnert an Manly Wade Wellman, dessen Geburtstag sich heute zum 110. Mal jährt. Der am 21. Mai 1903 in Kamundongo in Portugiesisch Westafrika (dem heutigen Angola) geborene Manly Wade Wellman zählt zu den Autoren, ohne die die Pulps – diese auf Billigpapier gedruckten, alle möglichen Genres abdeckenden, zumeist monatlich erscheinenden Magazine – gar nicht möglich gewesen wären, denn er hat lange Zeit für sie geschrieben (wie später auch für die “seriöseren” SF- und Fantasymagazine). Von daher ist es nur folgerichtig, dass seine Karriere mit “Back to the Beast” 1927 in der Novemberausgabe von Weird Tales begonnen hat, das bis Ende der 40er Jahre zu seinem Hauptabnehmer werden sollte. Doch Wellman schrieb auch für andere Magazine und verfasste beispielsweise mehrere größtenteils in Amazing erschienene Stories um den prähistorischen Helden Hok, der es in der Morgendämmerung der Menschheitsgeschichte u.a. mit Neandertalern und Höhlenmenschen zu tun bekommt und einen Abstecher nach Atlantis macht. Die formal und inhaltlich nicht sonderlich aufregenden Hok-Geschichten sind klassisches Pulpmaterial mit all seinen typischen Stärken und Schwächen und wurden erst 2010 als Buchausgabe gesammelt unter dem Titel Battle in the Dawn: The Complete Hok the Mighty wieder aufgelegt. In eine ganz ähnliche Richtung geht Sojarr of Titan (komplett in Startling Stories März 1941, Buchausgabe 1949), das man am ehesten als “Tarzan im Weltall” bezeichnen könnte.
John Thunstone von Manly Wade WellmanWeitaus interessanter waren da die Geschichten, die Wellman – teils unter dem Pseudonym Gans T. Field – in den 30er und 40er Jahren für Weird Tales schrieb, und die eine erstaunliche thematische Bandbreite aufweisen. Und in Weird Tales sind (beginnend mit “The Third Cry to Legba”, November 1943) auch die etwas mehr als ein Dutzend Stories um den okkulten Detektiv John Thunstone erschienen, die zwar einen damals weit verbreiteten und auch schon zuvor von Wellman selbst genutzten Trend aufgriffen, aber die vielleicht beste Umsetzung dieses Themas darstellen. Thunstone ist einerseits ein typischer Pulpheld – groß und kräftig, intelligent, gutaussehend und reich, dazu mit reichlich okkultem Wissen und wirksamen Waffen gegen übernatürliche Wesen ausgestattet – doch seine Gegner sind nicht nur die üblichen Geister, Werwölfe und Vampire, sondern auch die Shonokins, menschenähnliche Wesen, die behaupten, lange vor dem Auftauchen der Menschen über Nordamerika geherrscht zu haben. Und natürlich hat er wie alle Serienhelden auch einen Erzfeind: den Magier Rowley Thorne (für den dem Vernehmen nach Aleister Crowley Pate gestanden haben soll). In den 80er Jahren ist Wellman nach einer Pause von mehr als dreißig Jahren noch einmal zu John Thunstone zurückgekehrt, zunächst mit einer Story und dann mit zwei Romanen – What Dreams May Come (1983) und The School of Darkness (1985) – in denen der Detektiv mit dem modernen Phänomen der Zeitreise konfrontiert wird, ehe es zum großen Showdown mit seinem Erzfeind kommt. Sämtliche Geschichten und die beiden Romane sind vor kurzem auch in dem Sammelband The Complete John Thunstone (2012) erschienen.
Weitaus bekannter – zumindest in den USA – haben Manly Wade Wellman allerdings die Stories und später auch Romane um John the Balladeer (bzw. Silver John wegen seiner mit silbernen Saiten bespannten Gitarre) gemacht, der durch das ländliche North Caroline wandert und dabei allerlei Kreaturen begegnet, die teils der amerikanischen Folklore, teils den Pulps entsprungen sind. Dass diese Begegnungen nicht immer freundlich und friedlich verlaufen, liegt auf der Hand, doch John – eine Mischung aus Johnny Cash und Johannes dem Täufer – verfügt Who Fears The Devil von Manly Wade Wellmanüber Fähigkeiten, die man ihm gar nicht zugetraut hätte, und so gelingt es ihm immer, die Konflikte auf zufriedenstellende (nicht zwangsläufig gewaltsame) Weise zu lösen. Auf die erste Silver-John-Story “O Ugly Bird!” (1951 in der Dezemberausgabe des Magazine of Fantasy & Science Fiction) folgten in den 50er und 60er Jahren noch rund dreißig weitere. Ab 1979 erschienen dann fünf Romane – The Old Gods Waken (1979), After Dark (1980), The Lost and the Lurking (1981), The Hanging Stones (1982) und The Voice of the Mountain (1984) – in denen John etwas größere Abenteuer erlebt und es u.a. mit keltischen Druiden und den bereits aus den John-Thunstone-Geschichten bekannten Shonokins zu tun bekommt. Die Stories – am vollständigsten in Who Fears the Devil? The Complete Silver John (2010) gesammelt – und Romane um John the Balladeer sind durch ihr Aufgreifen folkloristischer Motive und die Verwurzelung im ländlichen Nordamerika in vielerlei Hinsicht ungewöhnlich; man könnte auch sagen, es sind Heimatromane der etwas anderen Art.
Der interessanteste von Manly Wade Wellmans gelegentlichen Abstechern in die SF dürfte der gemeinsam mit seinem Sohn Wade Wellman verfasste Episodenroman Sherlock Holmes’ War of the Worlds (1975) sein, in dem der bekannte Detektiv aus der Baker Street es mit den Wells’schen Marsianern zu tun bekommt. Und auch an der Sword & Sorcery hat Wellman sich (genau wie an nicht-phantastischen Genres) versucht: In den fünf zwischen 1977 und 1979 erschienenen Ausgaben der von Andrew J. Offutt jr. herausgegebenen Anthologiereihe Swords Against Darkness finden sich ebenso viele Geschichten um Kardios, den Harfespieler und letzten Überlebenden des versunkenen Atlantis, die zwar ganz nett sind, aber verständlich machen, wieso Wellman sich diesem Subgenre zu dessen Boomzeiten nie zugewandt hat.
In Deutschland sind von ihm nur ein paar Kurzgeschichten – u.a. auch mit Hok, John Thunstone, Silver John und Kardios – sowie zwei, drei eher uninspirierte SF-Romane und ein Horrorroman (Der Schattensee (1980), OT: The Beyonders (1977)) erschienen. Der weitaus interessantere Teil des Schaffens des am 05. April 1986 im Alter von 83 Jahren verstorbenen Manly Wade Wellman ist hingegen nie übersetzt worden.

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