Zum 70. Geburtstag von Ian Watson

Bibliotheka Phantastika gratuliert Ian Watson, der heute 70 Jahre alt wird. Auch wenn der am 20. April 1943 in North Shield in der nordenglischen Grafschaft Northumberland geborene Ian Watson immer zuallererst als SF-Autor betrachtet werden wird – denn in diesem Genre ist seit seinem Debut 1969 mit der Story “Roof Garden Under Saturn” im Magazin New Worlds mit deutlich mehr als 150 Erzählungen und mehr als einem Dutzend Romanen der weitaus größte Teil seines Schaffens angesiedelt –, hat er sich darüber hinaus gelegentlich dem Horror oder der Fantasy zugewandt (oder, anders gesagt: einige SF-Romane geschrieben, die sich eines Fantasy-Instrumentariums bedienen und der Fantasy zumindest nahestehen).
Auf seinen Romanerstling The Embedding (1976; dt. Das Babel-Syndrom (1983)), in dem u.a. die Sapir-Whorf-Hypothese eine wichtige Rolle spielt und der bereits auf die Art clever konstruierter, nachdenklich machender SF-Romane verweist, die für Watson charakteristisch werden sollten, folgten fünf ähnlich gelagerte SF-Romane, ehe er sich in The Gardens of Delight (1980; dt. Die Gärten des Meisters (1983)) erstmals an einem Stoff versuchte, der einen deutlichen Fantasy-Einschlag besitzt: ein Raumschiff von der Erde stößt auf einen fremden Planeten, der bis in die kleinste Einzelheit eine Nachbildung des Hieronymus-Bosch-Gemäldes Der Garten der Lüste darstellt. Ungeachtet seiner sf-typischen Rahmenhandlung leitet Gardens Watsons Hinwendung zu phantastischeren Themen ein, die in den Romanen der Folgejahre immer bestimmender werden sollten.
The Book of the River von Ian WatsonSo richtig deutlich wird dies zum ersten Mal in den aus den drei Einzelbänden The Book of the River, The Book of the Stars (beide 1984) und The Book of Being (1985) bestehenden Books of the Black Current (unter diesem Titel 1986 auch als Sammelband). Die Trilogie schildert die Abenteuer der jungen Yaleen auf einer Welt, die von einem gigantischen Fluss in zwei Hälften geteilt wird. Verantwortlich für diese Teilung ist vor allem die schwarze Strömung inmitten des Flusses, die sehr unterschiedlich mit Männern und Frauen umgeht, was wiederum dazu geführt hat, dass am einen Ufer ein feministisches Utopia entstanden ist, während am anderen Ufer eine barbarische, von Männern dominierte und dystopische Züge tragende Gesellschaft existiert. Bei der schwarzen Strömung handelt es sich um ein seelensammelndes, lebendiges Wesen, das in eine Auseinandersetzung mit einem außerweltlichen Gott verstrickt ist – und in diese Auseinandersetzung wird Yaleen nicht nur hineingezogen, sondern ihr wird im Laufe der Geschichte eine überaus wichtige Rolle darin zuteil. Letzteres ist vermutlich der Grund, warum die Neuausgabe des Sammelbands unter dem Titel Yaleen (2004) erschienen ist und auch die deutsche Ausgabe als Yaleen-Trilogie (Einzelbände: Das Buch vom Fluss, Das Buch von den Sternen und Das Buch vom Sein (alle 1987)) auf den Markt kam.
Mit Queenmagic, Kingmagic (1986) folgte daraufhin zunächst ein Fantasyroman, der auf einer Welt spielt, die nach den Regeln des Schachspiels funktioniert, während es sich bei The Power (1987; dt. Die Macht des Bösen (1990)), Meat (1988) und The Fire Worm (1988; dt. Feuerwurm (2000)) um teils mehr, teils weniger konventionelle Horrorromane handelt, von denen vor allem Letzterer durchaus lesenswert ist.
Deutlich fantasyhafter – man könnte auch sagen ähnlich metaphysisch wie in den Books of the Black Current – geht es dann wieder in Lucky’s Harvest (1993) und The Fallen Moon (1994), den Books of Mana zu, einem überaus farbigen und bizarren Konglomerat aus Elementen der finnischen Kalevala, allerlei komplizierten dynastischen Rangeleien und Verwicklungen, den Problemen, die die menschlichen Kolonisten auf dem Planeten Kaleva mit dessen Ureinwohnern, den schlangenähnlichen Isi haben, und einem bisschen Space Opera. Seinen Anfang nimmt alles mit Lucky Sariola, die als kleines Mädchen im Asteroidengürtel einen merkwürdigen Gesteinsbrocken entdeckt, der sich als Ukko – als ein sehr spezielles lebendes Wesen – entpuppt, das sie und ihre Familie durch den bisher unbekannten Mana-Raum Lucky's Harvest von Ian Watsonauf einen Planeten namens Kaleva bringt. Doch das ist nur der Ausgangspunkt einer ebenso spannenden wie verrückten Geschichte, die einerseits durch ihre Figuren und die Handlung überzeugt, andererseits durch die Anlehnung an die Kalevala eine Tiefe und Dichte erreicht, die sich in ähnlichen phantastischen Planetenabenteuern nur selten finden lässt. Dass die – auf Deutsch in drei Bänden als Dämonen-Kind, Kuckucks-Fluch (beide 1996) und Mond-Fall (1997) – erschienene Mana-Sequenz darüber hinaus so elegant und überzeugend durch die Grauzone zwischen SF und Fantasy tänzelt wie kaum ein anderes Werk, macht es umso bedauerlicher, dass Ian Watson in Deutschland mittlerweile fast völlig vergessen ist. Aber auch in seiner Heimat ist der Autor – der nie zu den Bestseller-Autoren zählte, auch wenn er in den 90er Jahren mehrere Warhammer-40.000-Romane geschrieben hat – inzwischen kaum noch im Buchhandel präsent. Ein weiteres Opfer des Verschwindens der Midlist, aber eines, nach dessen Romanen oder Kurzgeschichtensammlungen zu suchen sich durchaus lohnen kann.

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