Zum 65. Geburtstag von Nancy Kress

Cover von The Prince of Morning Bells von Nancy KressBibliotheka Phantastika gratuliert Nancy Kress, die heute 65 Jahre alt wird. Begonnen hat die schriftstellerische Karriere der am 20. Januar 1948 in Buffalo, New York, als Nancy Ann Koningisor geborenen Nancy Kress mit SF (genauer gesagt mit der Story “The Earth Dwellers” in der Dezemberausgabe des Magazins Galaxy 1976), und der überwiegende Teil ihres Werkes ist ebenso wie ihr größter Erfolg – die mit der Erzählung “Beggars in Spain” begonnene bzw. aus ihr hervorgegangene Reihe The Sleepless – diesem Genre zugehörig, doch ihre ersten Romane zählen ohne jede Frage zur Fantasy.
Ihr Erstling The Prince of Morning Bells (1981; dt. Der Weg zum Herz der Welt (1982)) handelt von einer Queste – allerdings einer, die man nicht unbedingt klassisch nennen kann. Denn die Suche nach dem Herz der Welt, auf die sich Prinzessin Kirila begibt, und auf der sie zeitweise von einem sprechenden großen Hund mit etwas ungewöhnlicher Fellfarbe begleitet wird, der sich für einen verzauberten Frosch – Pardon, Prinz – hält, läuft ein bisschen anders ab, als man das von Questen allgemein gewohnt ist. Was nicht zuletzt daran liegt, dass Kirila überaus dickköpfig sein kann, und so gerät sie mehrfach in Situationen, die ihre Suche zu einem deutlich langwierigeren Unterfangen machen als ursprünglich geplant. Trotz seiner gelegentlich absurden oder komischen Szenen ist The Prince of Morning Bells allerdings keine Parodie, sondern ein mit leichter Hand entworfenes Spiel mit den Klischees des Genres, die sich damals teilweise erst zu bilden begannen.
Kress’ zweiter Roman The Golden Grove (1984; dt. Der goldene Hain (1985)) ist wesentlich ernster und düsterer, und seine Hauptfigur Arachne reist auch nicht auf der Welt herum, sondern bleibt die ganze Zeit auf ihrer vage ans antike Griechenland erinnernden Insel mit dem titelgebenden goldenen Hain, in dem blinde, heilige Spinnen leben, aus deren Netzen die Kleider der Inselbewohner gewoben werden – und ihr Schicksal. Doch eines Tages beginnt der Hain zu sterben, und die Hilfe, die man sich von der Außenwelt versprochen und geholt hat, erweist sich als Bedrohung. Als dann auch noch die Spinnen giftig werden und die Träume der Inselbewohner vergiften, scheint die Zeit des Friedens und der Harmonie endgültig vorbei zu sein.
Ebenso wie in den beiden vorangegangenen Romanen steht auch in The White Pipes (1985; dt. Schalmeienklänge (1985)) eine Frau im Mittelpunkt der Handlung: Fia ist eine Geschichtenspielerin, die über die Begabung verfügt, ihrem Publikum Märchen und Geschichten mittels kleiner, scheinbar lebendiger Figuren vorzuspielen. Am Hof des Königs eines typischen mittelalterlichen Fantasyreiches gerät sie in einen Strudel aus Intrigen und Machenschaften, der sich als ziemlich gefährlich für sie und ihren kleinen Sohn erweist, so dass sie sich auf die Suche nach den weißen Schalmeien begeben muss, mit deren Tönen man jeden Menschen versklaven kann. Und natürlich ist nicht nur sie hinter den machtvollen Instrumenten her.
Nach The White Pipes wandte Nancy Kress sich ganz der SF zu, was ein bisschen schade für die Fantasy ist, denn in ihren ersten drei Romanen hat die Autorin gezeigt, dass sie dem Genre durchaus originelle Impulse geben kann. Am besten ist ihr das zweifellos bei The Prince of Morning Bells gelungen, wohingegen bei The Golden Grove eher die Atmosphäre als die Handlung überzeugt (und man sich fragen kann, ob es wirklich sinnvoll ist, die Hauptfigur eines Romans, in dem es auch stark um Spinnen geht, ausgerechnet Arachne zu nennen); The White Pipes belegt in dieser kleinen Liste einen guten Mittelplatz.
Auffällig ist außerdem, dass die drei Romane vergleichsweise “klein” daherkommen, was das Figurenarsenal und/oder das Setting betrifft – und dass sie alle drei überzeugend gezeichnete Frauenfiguren aufweisen, neben denen so manches moderne Pendant wie eine Karikatur erscheint.
Verglichen mit diesen Romanen (die – nebenbei bemerkt – als ein weiteres Beispiel für die Vielfalt des Genres in den 80er Jahren dienen können) wirkt die Jugendbuch-Trilogie, die Nancy Kress unter dem Pseudonym Anna Kendall schreibt, deutlich weniger ambitioniert. Die bisher aus den Romanen Crossing Over (2010; dt. Der Pfad der Seelen (2011)), Dark Mist Rising (2011; dt. Das Land hinter den Nebeln (2012)) und A Bright and Terrible Sword (2013) bestehenden Soulvine Moor Chronicles (dt. Buch der Seelen), in deren Mittelpunkt der vierzehnjährige Roger Kilbourne steht, der über die Gabe verfügt, mit seinem Geist ins Land der Toten zu reisen, bieten typische All-Age-Kost, die sich allenfalls durch die düstere Atmosphäre und die Thematisierung der sexuellen Nöte des Helden vom Genre-Umfeld abhebt. Das mag jetzt nicht per se schlecht sein, aber es ist gewiss nicht die Einlösung des Versprechens, als das man Nancy Kress’ in den 1980er Jahren erschienene Fantasyromane betrachten kann (und hält auch einem Vergleich mit ihren SF-Romanen nicht stand).

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