Zum 115. Geburtstag von Naomi Mitchison

Bibliotheka Phantastika erinnert an Naomi Mitchison, die heute 115 Jahre alt geworden wäre. Auch wenn ihr Name hierzulande vermutlich bereits wieder in Vergessenheit geraten ist, dürfte kein Zweifel daran bestehen, dass Naomi Mitchison (geboren am 01. November 1897 in Edinburgh, Schottland, als Naomi Margaret Mary Haldane) zu den originellsten und wichtigsten englischsprachigen Autorinnen des 20. Jahrhunderts zu zählen ist. In ihrem langen Leben hat sie ein umfangreiches Werk geschaffen, dem bislang auch im englischen Sprachraum nicht die kritische Würdigung zuteil geworden ist, die es verdient hätte – was nicht zuletzt damit zusammenhängen könnte, dass Mitchison als überzeugte Feministin und Sozialistin Positionen vertreten hat, mit denen sie sich beim konservativen Establishment nicht unbedingt beliebt gemacht hat.
In besagtem umfangreichen Werk finden sich auch einige Romane und Erzählungen mit mehr oder minder starken phantastischen Elementen, etwa gleich in ihrem Erstling The The Corn King and the Spring Queen von Naomi MitchisonConquered (1923; dt. Jenseits des Sieges (1952)), einem historischen Roman über die Eroberung Galliens durch Caesar, in dem ein Seher weit mehr ist als er scheint. Auch The Corn King and the Spring Queen (1931; dt. Kornkönig und Frühlingsbraut (1985)) ist ein historischer Roman mit Fantasyelementen. Die Geschichte der Hexe Erif Dher und ihres anfangs ungeliebten Ehemannes, des Kornkönigs Tarrik, die es aus ihrem an der Küste des Schwarzen Meeres gelegenen (fiktiven) Königreich Marob ins Sparta des dritten vorchristlichen Jahrhunderts verschlägt, dürfte nicht nur einer der ersten historischen Fantasyromane überhaupt sein, sondern auch ein zu Unrecht unterschätzter Klassiker des Genres. Etliche von Mitchisons Stories mit phantastischem Einschlag finden sich in der Sammlung The Fourth Pig (1936), während die Sammlung Images of Africa (1980; dt. Geschichten aus Afrika (1986)) phantastische Erzählungen enthält, die im Stil alter Volkssagen verfasst sind.
Travel Light (1952; dt. Eine Reise durch die Zeit (1987)) ist ein sowohl inhaltlich wie sprachlich zauberhafter Fantasyroman, der die Reise der von ihrer Stiefmutter ungeliebten Königstochter Halla durch ein von Bären, Drachen, Zwergen und Trollen bewohntes nordisches Märchenland schildert und dabei auf liebevolle Weise allzu abgenutzte Fantasyklischees parodiert, während To the Chapel Perilous (1955; dt. König Artus lässt schön grüßen (1986)) eine originelle, ein bisschen postmoderne Adaption des Artus-Mythos darstellt, in der die Medien eine ungewohnt große Rolle spielen, und Early in Orcadia (1987) eine in prähistorischer Zeit auf den den Orkney-Inseln angesiedelte Geschichte erzählt.
Schon 1935 hatte Naomi Mitchison sich mit We Have Been Warned im Gewand eines Near-Future-Thrillers, in dem es um die Unterdrückung der englischen Linken geht, der SF zumindest halbwegs zugewandt. Bei Memoirs of a Space Woman (1962; dt. Memoiren einer Raumfahrerin (1980)) den Erinnerungen der Kommunikationsspezialistin Mary, die auf immer neuen Planeten mit Aliens der unterschiedlichsten Couleur Kontakt aufnehmen muss, handelt es sich dann ebenso um lupenreine SF, wie bei Solution Three (1975; dt. Lösung Drei (1984)) – hier geht es um Klone auf einer ziemlich kaputten Erde – und Not By Bread Alone (1983), in dem die Probleme geschildert werden, die aus der kostenlosen Verteilung von Nahrungsmitteln überall auf der Welt entstehen.
Naomi Mitchisons Romane und Erzählungen waren fast immer Vehikel ihrer Überzeugungen und Ideen, was ihnen häufig einen allegorischen Charakter verleiht. Dessen ungeachtet hat die am 11. Januar 1999 im gesegneten Alter von 101 Jahren verstorbene Autorin sich in vielen Fällen mit Themen befasst, die auch heute noch interessant sind. Und gelegentlich sind ihr – etwa mit The Corn King and the Spring Queen, Travel Light, To the Chapel Perilous oder Memoirs of a Space Woman – sogar kleine Meisterwerke gelungen.

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