Zum 70. Geburtstag von Samuel R. Delany

Tales of Nevèryon von Samuel R. DelanyBibliotheka Phantastika gratuliert Samuel R. Delany, der heute 70 Jahre alt wird. Der am 01. April 1942 in New York geborene Samuel Ray “Chip” Delany jr. ist fraglos eine der schillerndsten Figuren der angloamerikanischen SF-Szene: als der wohl erste erfolgreiche farbige SF-Autor, als eine der Portalfiguren der amerikanischen New Wave, als ein sich zu seiner Bisexualität offen bekennender Mann und als einer der scharfsinnigsten und am radikalsten denkenden Kritiker von SF und anderen Paraliteraturen. Berühmt geworden ist Delany schon in jungen Jahren, als in den 60ern eine ganze Reihe von SF-Stories und -Romanen von ihm erschienen, darunter z.T. preisgekrönte Meilensteine des Genres wie Babel-17 (1966), The Einstein Intersection (1967) und Nova (1968) – nicht zu vergessen Stories wie “Aye, and Gomorrah …” (1967) oder “Time Considered as a Helix of Semi-Precious Stones” (1968) –, während die kontrovers diskutierten Romane seiner zweiten Schaffensphase, Dhalgren (1975) und Triton (1976), ihn auch einem größeren Publikum außerhalb der SF-Leserschaft bekannt machten.
Ende der 70er Jahre wandte er sich der Fantasy – genauer: der Sword & Sorcery – zu, was bei einem Autor, in dessen Werk Mythologien schon zuvor eine wichtige Rolle gespielt hatten, einerseits nicht weiter verwunderlich ist; andererseits passen seine typischen Protagonisten und auch die Themen, mit denen er sich in seiner SF auseinandergesetzt hatte, irgendwie nicht so recht ins wohl formelhafteste Subgenre der Fantasy. Aber um die Erwartungshaltung seiner Leserschaft hat Delany sich nie gekümmert – oder allenfalls dadurch, dass er sie unterlaufen hat.
Die als Return to Nevèrÿon bekannte Sequenz besteht aus elf teils längeren, teils kürzeren Erzählungen, die in Tales of Nevèrÿon (1979, rev. 1988; dt. Geschichten aus Nimmerya (1981)), Flight from Nevèrÿon (1985, rev. 1989; dt. Flucht aus Nimmerya (1988)) und The Bridge of Lost Desire (1987; auch als Return to Nevèrÿon (1989)) gesammelt wurden, sowie dem – als zweiter Band der Reihe veröffentlichten – Roman Neveryóna, or: The Tale of Signs and Cities (1983, rev. 1989; dt. Das Land Nimmerya (1984)), hinzu Neveryóna von Samuel R. Delanykommen fiktionale Vorbemerkungen und Appendices, die einerseits direkt auf die Handlung bezogen sind, andererseits eine Brücke zu Triton schlagen und das Ganze um eine metafiktionale Ebene ergänzen. Außerdem ist die erste Geschichte – “The Tale of Gorgik” – mit der letzten identisch, was den zyklenhaften Charakter der Gesamtsequenz unterstreicht. Besagter Gorgik – eigentlich Gorgik the Liberator, ein Ex-Sklave – ist so etwas wie der Hauptprotagonist der ganzen Reihe, der zwar nicht in allen Stories im Mittelpunkt steht, dessen Lebensgeschichte aber eine Art roten Faden des Ganzen darstellt. Äußerlich erfüllt Gorgik die Anforderungen, die gemeinhin an einen S&S-Helden gestellt werden, problemlos – aber dass sein Sklavenhalsband für ihn zu einem sexuellen Fetisch geworden ist, macht bald deutlich, dass er eben nicht einfach eine weitere Version von Conan oder Brak oder Kothar ist. Ähnliches gilt für das Setting: Haupthandlungsort ist Kolhari, eine Hafenstadt und Zentrum einer vorindustriellen Sklavenhaltergesellschaft einschließlich eines Kaiserlichen Hofes mitsamt Kindkaiserin, doch die Einwohner sind dunkelhäutig, die blonden Barbaren – die häufig als Sklaven in den Minen arbeiten müssen – leben im Süden, und die Gesellschaft an sich ist im Wandel. Vieles, was auf den ersten Blick vertraut wirkt bzw. den Topoi der Sword & Sorcery entspricht, offenbart somit auf den zweiten seine Andersartigkeit. Ähnliches gilt für die Handlung. So kommen zwar durchaus Kämpfe oder dramatische Szenen und Ereignisse vor, aber sie werden auf eine merkwürdig distanzierte, undramatische Weise präsentiert. Denn um Actionsequenzen geht es Flight from Nevéryon von Samuel R. DelanyDelany nicht. Worum es ihm geht – und was er auch mit diesen Sword-&-Sorcery-Geschichten auslotet, in denen weder Schwerter noch Zauberei eine besondere Rolle spielen – ist die Frage, was unser Sein bestimmt. Oder, anders ausgedrückt, inwieweit Rasse, Geschlecht und soziale Stellung unsere Wahrnehmung der Welt beeinflussen – eine Wahrnehmung, die zusätzlich durch unsere Sprache gefiltert wird. Logischerweise geht es in diesen Geschichten damit auch immer ums Geschichtenerzählen. Gleichzeitig ist Kolhari eine Art verfremdetes – um nicht zu sagen verzerrtes – Pendant zu New York, was sich vor allem in der Erzählung “The Tale of Plagues and Carnivals” zeigt (in der die in Kolhari herrschende “Plage” und der Umgang mit ihr ein Spiegelbild der Situation in New York zu Zeiten der AIDS-Epidemie darstellt). Die Werke eines Samuel R. Delany sind – dies sei noch angemerkt – gewiss nicht unbedingt leicht verdaulich. Aber sie liefern viel Stoff zum Nachdenken, und wenn man sich auf sie einlässt, kann man sehr wohl auch Spaß beim Lesen haben.

Ein Kommentar zu Zum 70. Geburtstag von Samuel R. Delany

  1. Pegasus sagt:

    Auch das ist gleich mal auf meiner Liste für den nächsten Büchereibesuch gelandet. 🙂

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