Das Kaeferl liest fremd: Gentlemen of the Road

Ich möchte die Gelegenheit nutzen, zwei besondere Exemplare von Spitzbuben zu präsentieren: Zelikman und Amram. Gemeinsam sind der hagere jüdische Chirurg mit melancholischer Neigung aus dem Frankenreich und der hünenhafte afrikanisch-jüdische Axtschwinger die Gentlemen of the Road, Abenteurer mit spitzen Zungen und scharfen Klingen, die sich im 10. Jahrhundert nach Christus in der Kaukasus-Region mit Gaunereien durchschlagen und in den Erbfolgekonflikt des Reichs der Khasaren geraten, in dem ein Hut, ein rachsüchtiger junger Prinz und ein Elefant namens Cunegunde eine Rolle spielen.
Begonnen hat Gentlemen of the Road als Fortsetzungsgeschichte im New York Times Magazine. Die Buchversion enthält ein charmantes Nachwort, in dem erklärt wird, wie der profilierte und gern von der Hochliteratur für sich beanspruchte Autor Michael Chabon dazu kam, einen klassischen Abenteuerroman mit dem Arbeitstitel “Juden mit Schwertern” zu schreiben.

Gentlemen of the Road von Michael ChabonGentlemen of the Road bleibt diesem inzwischen angestaubten Genre auch bedingungslos treu: es ist eine rasante, bunte Abfolge von Abenteuern, in der sich gewitzte Dialoge mit Action abwechseln, während man, unterstützt durch die trotz ihres sparsamen Strichs äußerst lebendigen Schwarzweiß-Illustrationen von Gary Gianni, Bild um Bild vor Auge hat. Auf dem knappen Raum von 200 Seiten drängen sich große Ereignisse, erzählt mit Situationskomik und trockenem Humor, in einem eleganten, aber dennoch komplexen Stil, der sich an den literarischen Vorbildern orientiert, ohne in seinen schwelgerischen Beschreibungen beliebig zu werden, und mitunter Kapiteltitel hervorbringt, die etwa On Anxieties Arising from the Impermissibility, However Unreasonable, of an Elephant’s Rounding Out a Prayer Quorum lauten.
Für die Exotik des Abenteuers sorgen nicht nur Karawansereien im Niemandsland zwischen Europa und Asien und das vielfältige Sammelsurium an Figuren aus der ganzen bekannten Welt, sondern auch die Wahl des Schauplatzes, des im Geschichtsunterricht stiefmütterlich behandelten jüdischen Reichs der Khasaren.
Im Kern von Gentlemen of the Road steht bei allen Lachern und aller Episodenhaftigkeit eine gelungene Geschichte, in der es keinen Leerlauf gibt und die in ihrer Knappheit bewegt, wenn die schurkischen Protagonisten ganz in der Abenteuertradition ihre Moral erproben und trotzdem Schurken bleiben müssen.
Will man den großen Abenteuergeschichten von Karl May über Dumas bis Salgari stilvoll huldigen, mit einem Roman, der zwar keine Fantasy ist, aber weit über die Widmung an Michael Moorcock hinaus ihr Flair atmet, sollte man Zelikman und Amram ein Stück auf der Straße begleiten.

______________

Michael Chabon, 2007: Gentleman of the Road, ISBN: 978-0-345-50174-5

Die deutsche Ausgabe von 2010, Schurken der Landstraße, ISBN: 978-3-462-04189-7, scheint die Illustrationen der Originalausgabe nicht zu enthalten. Zur
Leseprobe

7 Kommentare zu Das Kaeferl liest fremd: Gentlemen of the Road

  1. Elric sagt:

    Ich war ja erst skeptisch, aber ein Widmung an Moorcock? Ich hab das dumpfe Gefühl, dass du mich damit eingefangen hast! 😉
    Na, Karl May hab ich ja auch knapp 40 Bände gelesen…
    Also: Liste raus, draufschreiben…

    So langsam könnte mein Geldbeutel dir böse werden, Käferl! Aber nur langsam! 😀

  2. Anubis sagt:

    Versuch’s ruhig mal damit. Meinem Empfinden nach lag Chabon mit der Widmung an Moorcock genau richtig – obwohl seine Helden und ihr Humor vielleicht stärker noch von Fritz Leiber inspiriert sind. Das Buch liest sich wirklich wie Sword & Sorcery ohne sorcery.

  3. 'Pingback: Der Zwerg liest fremd: The Lost City of Z in der Bibliotheka Phantastika

  4. 'Pingback: Zum 50. Geburtstag von Michael Chabon in der Bibliotheka Phantastika

  5. elric sagt:

    Es hat zwar ne ganze Zeit gedauert, bis das Buch seinen Weg in mein Regal gefunden hat, aber dann ist es auch sehr schnell Opfer meiner Leselust geworden.
    Ja, es stimmt alles! Es hat wirklich sehr viel Spaß gemacht – besonders Zelikman hat es mir sehr angetan! 😀 Danke für den tollen Tipp, Käferl!(mal wieder…;) )

  6. mistkaeferl sagt:

    Sehr schön, freut mich! Und wie kommt’s wohl, diese Lieblingsfigurenwahl? 😉 Aber mir hat Zelikman auch sehr gefallen.

  7. Wulfila sagt:

    Und wie kommt’s wohl, diese Lieblingsfigurenwahl?

    Ich erinnere mich zumindest noch, dass sie seinerzeit zu einer interessanten Diskussion über Fischkonsum in Regensburg geführt hat. 😉

Hinterlasse einen Kommentar

Deine Email-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *

Du kannst diese HTML Tags und Attribute nutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>