Zum 60. Geburtstag von Charles de Lint

Cover von Memory & Dream von Charles de LintBibliotheka Phantastika gratuliert Charles de Lint, der heute 60 Jahre alt wird. Als der am 22. Dezember 1951 in Bussum in den Niederlanden geborene Charles Henri Diederick Hoefsmit de Lint vier Monate alt war, wanderten seine Eltern mit ihm nach Kanada aus, wo er heute noch lebt und inzwischen wahrscheinlich der erfolgreichste Fantasy-Autor des Landes ist – und auf alle Fälle der mit der weitaus größten Zahl von Veröffentlichungen. Auf seine erste Kurzgeschichte “The Fane of the Gray Rose” (in Swords Against Darkness IV, 1979) folgten unzählige weitere Geschichten (viele davon unter Pseudonym) und etliche Romane, von denen dem deutschsprachigen Lesepublikum allerdings nur die wenigsten bekannt sind, denn bisher wurde nur ein Bruchteil von de Lints Oeuvre ins Deutsche übersetzt.
Viele seiner frühen Texte erschienen als chapbooks, etwa die locker miteinander verknüpften Tales of Cerin Songweaver, deren zentrales Thema die enge Verquickung von Geschichten und (in diesem Fall keltischer) Musik ist. De Lints erster richtiger Roman The Riddle of the Wren (1984) war ein nicht weiter bemerkenswertes Beispiel für typische, in den 80er Jahren in unzähligen Variationen anzutreffende, stark von Tolkien beeinflusste Sekundärwelt-Fantasy, doch schon mit seinem nächsten Roman, Moonheart (1984) beschritt er neue Wege. Denn von nun ab schrieb er zeitgenössische Fantasy, in denen ein städtisches Setting (anfangs vor allem Ottawa, später die fiktive, allerdings stark an Ottawa erinnernde Stadt Newford) mit teils auf keltischen, teils auf indianischen Mythen fußenden andersweltlichen Erscheinungen und Phänomenen aufs Engste verwoben ist, und wurde somit zu dem typischen Autor von Urban Fantasy (in dem Sinne, wie man diesen Begriff vor der Vampir- und Werwolfsflut der letzten Jahre benutzt hat).
Die Romane und Geschichten mit dieser thematischen Ausrichtung sind zu zahlreich, um sie hier alle aufzuführen. Stellvertretend für den Rest seien daher nur Yarrow: An Autumn Tale (1986; einer Fantasy-Autorin aus Ottawa werden von einem vampirischen Traumdieb die Träume gestohlen, die die Grundlage ihrer Werke bilden), Jack the Giant-Killer (1987) und die Fortsetzung Drink Down the Moon (1990; die leicht verfremdete – u.a. wurde aus Jack eine Jacky – Nacherzählung einer alten britischen Sage), Greenmantle (1988, dt. Grünmantel (1997); hier stehen u.a. ein abtrünniger Mafiakiller und der titelgebende “Grünmantel” – die Verkörperung des Gottes Pan und des männlichen Prinzips der Natur – im Mittelpunkt der Handlung) und Spiritwalk (1992; ein Sammelband mit vier längeren, als Fortsetzungen zu Moonheart zu betrachtenden Erzählungen) genannt.
The Little Country (1991; deutsch in zwei Bänden als Das kleine Land I – Das verborgene Volk und Das kleine Land II – Die vergessene Musik (beide 1994)) ist einer der wenigen Romane, die in einem anderen Setting spielen, in diesem Fall im zeitgenössischen Cornwall. Aber de Lint wäre nicht de Lint, wenn er nicht noch ein zweites Cornwall ins Spiel bringen würde – und zwar eine knapp hundert Jahre zuvor angesiedelte Märchenlandversion. Dank eines reichlich verschachtelten Plots – in dem es unter anderem um ein Buch geht, von dem es nur eine einzige Ausgabe gibt, sowie um eine der Figuren aus besagtem Buch und um ein legendäres, kleinwüchsiges Volk –, dessen zwei Erzählstränge kunstvoll miteinander verwoben sind und in eine gemeinsame Auflösung münden, ist dieser Roman ganz gewiss einer der Höhepunkte in de Lints Oeuvre.
In Memory and Dream (1994) ist schließlich Newford zum ersten Mal Schauplatz der Handlung, und dieser Ort spielt im überwiegenden Teil von de Lints Veröffentlichungen nach 1994 – d.h. in mehreren Romanen und Storysammlungen – eine wichtige Rolle. Die der Urban Fantasy zuzurechnenden Werke bilden zwar den eindeutigen und unbestreitbaren Schwerpunkt im Schaffen de Lints, doch er hat auch noch andere Romane und Erzählungen verfasst; genannt seien beispielsweise Svaha (1989; sein einziger SF-Roman) oder das von Charles Vess illustrierte, für den World Fantasy Award nominierte Bilderbuch A Circle of Cats (2003).
Es ist schade, dass über die beiden bereits erwähnten Romane hinaus in Deutschland nur de Lints Beiträge zu Philip José Farmers The Dungeon – The Valley of Thunder (1989) als Das Tal des Donners (1990) und The Hidden City (1990) als Die verborgene Stadt (1991; beides typische Auftragsarbeiten, die sich nicht mit seinen normalen Arbeiten vergleichen lassen) – und eine Handvoll Kurzgeschichten und Erzählungen erschienen sind; angesichts der derzeit auf dem deutschsprachigen Buchmarkt dominierenden Themen und Tendenzen dürfte sich das in absehbarer Zeit auch kaum ändern.

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